Ein neues Unterrichtsgefäss könnte Schule machen

Sich gemeinsam auf etwas Neues einlassen. Es muss nicht unbedingt Altgriechisch sein. Mehr dazu im aktuellen Wochenbrief!

Zu den prägenden Lehrerfiguren der eigenen Mittelschulzeit gehört mein Mathematiklehrer. Ich erwähne ihn hier nicht wegen seines Unterrichts, sondern weil er mit einigen von uns das Freifach Altgriechisch besuchte. Dabei kämpfte er mit denselben Schwierigkeiten wie wir. Nur das Lernen von Vokabeln und Formen fiel dem fast 60-Jährigen sichtlich schwerer als uns. Dafür konnte er Bezüge herstellen, für die wir ihn bewunderten, Bezüge zur Geschichte der Mathematik oder zur griechischen Philosophie. Und manchmal entspann sich zwischen dem Griechischlehrer und ihm eine Diskussion, die sich weit über unseren Köpfen abspielte. Auch das war wunderbar, konnte man doch erleben, dass es noch soviel zu entdecken geben würde! Dass mir Herr Lüthi noch in Erinnerung ist, liegt aber vor allem an den Situationen, in denen wir gemeinsam an schwierigen Sätzen rumknobelten. Mich beeindruckte, wie er sich mit uns zusammen aufs Lernen von etwas Neuem einliess und sich, wenn man so will, auch die Blösse gab, etwas nicht zu wissen und Fehler zu machen. Nie habe ich besser verstanden, was man meint, wenn man von lebenslangem Lernen spricht. Und nie habe ich deutlicher erlebt, dass Lehrpersonen neben ihrem Fach auch viele, unter Umständen ganz anders geartete Interessen haben und vor allem einfach auch Menschen sind.

Wenn die Schüler*innen der jetzigen 5. Klassen aktuell Akzente für das letzte Schuljahr setzen und etwa ihr Ergänzungsfach wählen können, so treffen sie ihre Wahl auch für das Gefäss «WP II». Das «Wahlpflichtfach II» wird von zwei Lehrpersonen angeboten, die als Zweier-Team gewählt werden. Meines Wissens einzigartig ist die Tatsache, dass die Ausschreibung nicht mit einer inhaltlichen Präzisierung verbunden ist. Die Idee ist die: Im nächsten Semester, wenn die Wahlen getroffen und die Zuordnungen erfolgt sind, entwickelt die Gruppe, die Schüler*innen und die beiden Lehrpersonen, zusammen ein Projekt für das Folgesemester. Die Lehrpersonen bringen sich dabei nicht nur mit ihrem Fachhintergrund ein, sondern auch mit ihrer Lebenserfahrung, allfälligen Spezialgebieten und besonderen Interessen. Das gleiche gilt natürlich auch für die Schüler*innen. Im besten Fall ergibt sich dabei eine gemeinsame Lern- und Forschungsatmosphäre, die mehr getragen ist vom Fokus auf das Projekt als durch die üblichen Lehrer-Schüler-Beziehungen. Deshalb ist auch nicht vorgesehen, dass in diesem Gefäss Noten gesetzt werden. Der KUE-Konvent war der Überzeugung, dass diese Art des gemeinsamen, inhaltlich offenen Lernens dem Mittelschulunterricht guttun wird, und zwar wegen der innovativen Form der Kooperation, der gemeinsamen Projektplanung und weil man unkompliziert aktuelle Themen aufgreifen kann. Wir sind gespannt, von welchen konkreten Erfahrungen die Beteiligten in einem Jahr berichten werden. Ich bin zuversichtlich, dass das Glück des gemeinsamen Tuns und die Erfahrung, dass die Zusammenarbeit ganz neue Qualitäten hervorbringt, vorherrschend sein werden. Und vielleicht werden sich daraus ja auch Erkenntnisse ableiten lassen, was Schule machen müsste.

Nach den Sportferien findet übrigens ein Freifach in LaTeX statt, eine Einführung in ein anspruchsvolles Textverarbeitungsprogramm, das vor allem in den Naturwissenschaften verbreitet ist. Angemeldet haben sich – neben einer Gruppe von Schüler*innen – auch jemand aus der Schulverwaltung und – ein Mathematiklehrer.

Jürg Berthold

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