Mein Neffe hat im Frühling Abitur gemacht. Im Bundesland Sachsen sind die Anforderungen an die Abiturient:innen verglichen mit anderen Bundesländern hoch. Der Druck bei den Prüfungen war daher gross. Nicht weil Paul durchzufallen drohte, sondern weil er einen Abiturschnitt von mindestens 1.3 (5.7) brauchte, um in Düsseldorf Jura studieren zu können, wie er es geplant hat. In Deutschland sind rund 40 Prozent aller Studiengänge mit einer Zulassungsbeschränkung versehen – nicht nur Medizin und Jura, sondern auch viele Lehramtstudiengänge oder zum Beispiel Sozialpädagogik.
Unseren Maturandinnen und Maturanden dagegen garantiert die Matura den prüfungsfreien Hochschulzugang. Damit stehen ihnen nach der Maturprüfung überwältigend viele Möglichkeiten offen, sie haben (nur noch) die Qual der Wahl. An den Studieninformationstagen konnten die Schülerinnen und Schüler der 6. Klassen in der vergangenen Woche Studiengangpräsentationen (z.B. «Banking und Finance») oder Vorlesungen (z.B. «Wie Helden fühlen: Emotionen im griechischen und römischen Epos») besuchen.
Eine Voraussetzung für den prüfungsfreien Hochschulzugang in der Schweiz ist zum einen, dass die Anzahl Studentinnen und Studenten nicht massiv ansteigen darf, was heisst, dass es eine fixe Maturitätsquote geben muss. Zum anderen dürfen die Studiengänge keine weiteren Bedingungen – zum Beispiel einen bestimmten Notenschnitt – stellen. Alle Schülerinnen und Schüler müssen also durch ihre Ausbildung am Gymnasium die sogenannte Allgemeine Studierfähigkeit erreichen und theoretisch dazu in der Lage sein, jeden Studiengang an der Universität oder der ETH zu studieren.
Dass die Gymnasien dies «grossmehrheitlich gut» schaffen, ist in der Studie des Erziehungswissenschaftlers Franz Eberle festgestellt worden, die dieser im Auftrag der Schweizerischen Maturitätskommission durchgeführt und in diesem Jahr veröffentlicht hat. Die Studie untersucht Studienerfolgs- und Abbruchquoten als Indikatoren für das Funktionieren des Übergangs vom Gymnasium an die Hochschule. Die erhobenen Zahlen belegen Bekanntes, zeigen aber auch Überraschendes auf und regen zum Nachdenken an, auch weil die Gründe für die Zahlen und Ergebnisse oftmals nicht klar sind.
Zum Beispiel zeigt die Studie, dass ein klarer Zusammenhang zwischen Studienwahl und dem belegten Schwerpunktfach besteht. Fast 40% der Schülerinnen und Schüler, die das Schwerpunktfach Wirtschaft und Recht gewählt haben, beginnen ein Studium der Wirtschaftswissenschaften, fast 60% der Schülerinnen und Schüler aus dem SPF Biologie-Chemie entscheiden sich für ein Studium in einem naturwissenschaftlichen Fach oder Medizin/Pharmazie. Der Unterricht im Schwerpunktfach dient offenbar nicht nur der Vertiefung, sondern auch der spezifischen Studienvorbereitung beziehungsweise lenkt die Studienwahl der Schüler und Schülerinnen. Müssen die Gymnasien deshalb noch mehr dafür tun, dass alle Schwerpunktfächer weiter gewählt werden? Und was bedeutet der Zusammenhang zwischen SPF-Wahl und Studienfach im Hinblick auf die im Zuge der WegZH-Reformen entwickelten neuen Schwerpunktfächer?
Oder ein anderer Punkt: Der Studienerfolg unterscheidet sich je nach besuchtem Schwerpunktfach. Die Studienabbruchquoten liegen zwischen 12.6 (Alte Sprachen) und 25 Prozent (PPP, Musisches Profil). Zwar gib es vieles, was sich aus diesen Zahlen nicht herauslesen lässt (Welche Schüler:innen wählen ein bestimmtes Profil? Welche Faktoren führen zu einem Studienabbruch? etc.). Dennoch: Eberle legt den Gymnasien ans Herz, noch konsequenter auf die Studierfähigkeit aller Schülerinnen und Schüler zu achten.
Interessant sind die Studienergebnisse auch im Hinblick auf die Frage der Chancengerechtigkeit. Die grossen Unterschiede zwischen den Maturitätsquoten der Kantone stehen hier im Fokus. Bekannt ist, dass die Maturitätsquoten zwischen rund 13 Prozent (z.B. Schaffhausen) und über 30 Prozent (z.B. Genf) variieren. Der Hochschulzugang hängt also nicht nur von der sozialen Schicht, sondern auch vom Wohnort ab. Die Studie stellt nun fest, dass die Maturitätsquoten mit den Studienabbruchquoten korrelieren, bei hoher Maturitätsquote bricht eine höhere Anzahl Studierende das Studium ab. Diese Erkenntnis verleiht der Forderung, die Anforderungen sowohl bei der Aufnahme ins Gymnasium als auch während der Ausbildung zu harmonisieren, neuen Schwung. Es gilt, Ungerechtigkeiten zu beseitigen oder zumindest zu bekämpfen.
Eugenie Bopp
WB_2025_37