Erfahrungsberichte

84 Tage Unterricht ohne direkte Begegnungen an der Schule. Wie haben dies unsere Schülerinnen erlebt?

Sechs Schülerinnen und Schüler berichten in kurzen Texten über ihre Erfahrungen. Interessant ist, dass die Jugendlichen nicht die schulischen Inhalte ins Zentrum gestellt haben, sondern die Herausforderungen, welche sie in der Organisation des alltäglichen Lebens und den Anforderungen der Lehrpersonen zu bewältigen hatten.

Stell dir vor, es ist Schule und keiner geht hin! Dieser Gedanke war für mich bisher unvorstellbar. Seit dem 16. März ist das Unvorstellbare auf einmal Wirklichkeit geworden.

Aufstehen, Treppe hinab, Frühstück essen, Treppe hinauf und dann den Computer aufstarten, jedes Mal mit der Hoffnung, dass wir keine neuen Aufträge haben. Doch ich werde meistens enttäuscht. Jeder Tag sieht bei mir ähnlich aus. Ich verschaffe mir einen Überblick über die Aufträge und verteile sie auf den Tag. An die Lernphasen vor und nach dem Mittagessen, das ich stets mit meinem Bruder zubereite, halte ich mich sehr strikt. Unterbrüche in der Regelmässigkeit entstehen durch die zu unterschiedlichen Zeiten stattfindenden Videocalls und in den letzten Wochen durch das wieder aufkeimende gemeinsame Lernen mit meinen Freunden. Aufgelockert wird mein Tag mit Sport und Bewegung an der frischen Luft nach getaner Arbeit.

Das alles tönt recht stur, monoton und phantasielos, und dies ist es auch. Mir gibt diese Struktur aber Klarheit und Sicherheit. Das Lernen von zu Hause ist nämlich eine echte Herausforderung. Ich sitze immer alleine vor dem Bildschirm, den ich zum Glück abschalten kann, wann ich will. Die Hauptarbeit besteht im Lesen und dem Verstehen von Inhalten und dem Schreiben von Texten. Dies kann recht anstrengend sein, je nach Thema. Und wenn ich Fragen habe, muss ich mich mehr um die Antwort bemühen als in der Schule. Dies ist anstrengend, ich lerne dafür aber eigenständiger und nachhaltiger. Ich bin mein eigener Lernchef, was mir nach der Corona-Zeit wahrscheinlich sehr fehlen wird.

Mein Fazit: Das Fernlernen fordert von mir viel Disziplin und fördert meine Selbstständigkeit. Zum Lernen braucht es aber auch den Austausch und dazu braucht es den Lernort Schule.

 

Langsam kommt man an dem Punkt an, an dem es nicht mehr darauf ankommt, welcher Tag heute ist. Auch wenn das Ende des Lockdowns so nahe scheint, ist es noch weit entfernt. Diese Pandemie wird uns unser Leben lang begleiten, ob als gute oder schlechte Erfahrung beziehungsweise Erinnerung muss jeder mit sich selbst aushandeln. Doch ich bin mir sicher, jeder wird etwas aus dieser Zeit mitnehmen. Ich persönlich nehme einiges mit, das wichtigste aber, nichts für selbstverständlich anzusehen. Oft im Leben ist es so, dass man die kleinen Dinge nicht schätzt, wie zum Beispiel das tägliche Treffen mit den Freunden, das Verlassen des Hauses oder gar einfach menschlicher Kontakt. Leider fängt man erst solche Sachen an zu schätzen, wenn sie weg sind. Doch ich würde auch behaupten, jeder Schüler hatte mal davon geträumt, nicht in die Schule gehen zu müssen. Ich selbst wollte diese Erfahrung auch einmal erleben, zwar nicht unter diesen Umständen, aber das Schicksal wollte es nun einmal so. Während es bei den einen vom Anfang der Quarantäne an immer mehr bergauf geht mit dem Arbeiten und der Motivation, geht es bei den anderen geradewegs herunter. Ich gehöre der zweiten Gruppe an. Anfangs war man Feuer und Flamme, alles zu erledigen, nichts zu verpassen und natürlich rechtzeitig die Aufgaben abzugeben. Doch mittlerweile geht die Energie verloren, die man normalerweise durch das gemeinsame Lachen mit Freunden in den Pausen gesammelt hat. Auch wenn wir jeden Tag miteinander telefonieren, ist es einfach nicht das Gleiche, man fühlt sich distanziert, isoliert, man kann eigentlich schon fast sagen eingesperrt und einsam. Der Alltag fühlt sich trüb an, da man jeden Tag dasselbe zu tun hat. Aufstehen, Schule, Essen und Schlafen. Tagein tagaus nun schon fast 3 Monate lang. In dieser Zeit habe ich vieles über mich selbst gelernt, wo meine Grenzen liegen, aber auch was mir am meisten Spass macht. Auch habe ich gelernt, meinen grössten Feind, die Prokrastination, zu bekämpfen. Dies habe ich durch die wachsende Selbstdisziplin geschafft, die diese Pandemie von mir gefordert hat. Ich hoffe, jeder kann nun seine Lehren aus dieser Zeit ziehen und in ein paar Jahren mit seinen Kindern darüber lachen. Auch wenn es eine enorm anstrengende und nervenaufreibende Zeit ist, wird sie die ein oder andere Lebensgeschichte bereichern.

Ich sitze gerade auf einem Bänkli, es ist rot, am See, vor mir Schilf, und die Abenddämmerung macht sich bemerkbar. Der Mond ist eine Sichel am wolkenlosen, gelblich-blau-matten Himmel. Das Ende des Lockdowns ist in Sicht. Ob ich mich freue? Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Die Quarantäne war für mich seit Beginn eine Masse. Nein, ein Abschnitt ohne Ende. Etwas Unförmiges in meinem Kopf. Und unwirklich. Ich beginne mich zu entfalten, ich beginne zu hinterfragen. Doch die Quarantäne hat ein Ende, früher als ich mir vorstelle. Will ich wieder in mein normales Leben zurück? Bestimmt. Freunde treffen, verrückte Sachen machen, meine aberwitzigsten Ideen in die Realität umsetzen. (Klar kann ich diese Dinge auch während der Quarantäne tun, es ist einfach schwierig, Bücher in einer Brocki durchzustöbern, wenn diese gar nicht offen hat). Aber gleichzeitig, ja, gleichzeitig fühle ich mich, als müsste ich mich wieder den gesellschaftlichen Strukturen und Mustern unterordnen. Dieses Gefühl zu beschreiben erweist sich als schwierig, weil ich ihm in diesem Moment das erste Mal begegne. Mir ist wichtig, mich meiner Angst, anderen Leuten nicht zu gefallen, nicht das Richtige zu sagen, mich zu blamieren, zu stellen, gegen diese Angst zu kämpfen, sie zu eliminieren. Ich will jeden Moment geniessen, den ich erlebe und meine Ideen nicht zurückdrängen und sie als unbrauchbar abstempeln. Ich will sagen, was ich denke. Ich will so vieles. Vor allem will ich aber mir selbst treu sein. Nicht zu schnell aufgeben. An mich glauben. Wirklich an mich glauben, ein Leben lang, kann nur ich. Auch meine Eltern werden sterben. Ich hatte oft keine Motivation während der Quarantäne. Wieso gehe ich überhaupt in die Online-Schule, wenn ich alles nur mache, um es gemacht zu haben? Wieso stehe ich morgens überhaupt auf? Alle Dinge kamen mir unwichtig, klein, sinnlos, langweilig und nicht erstrebenswert vor. Vor ein paar Wochen zirkulierten diese Gedanken täglich in meinem Kopf. Meistens war das an den Tagen, an welchen ich nicht draussen war.

Herausforderung, ein Wort das uns über diese ganze Zeit begleitet hat. Herausforderung, ein Wort das für jede und jeden etwas anderes bedeuten kann. Herausforderung, ein Wort welches ich des Öfteren zu spüren bekam. Denn ich bin vom Gedanken überzeugt, dass erst durch viele Herausforderungen die wahren Erfolge erreicht werden. Erfolge müssen nicht immer akademischer Natur sein, sondern können auch anders in Erscheinung treten, so habe ich zum Beispiel nicht mehr ganz so viel Zeit auf Social Media Plattformen verbracht und habe begonnen zu malen, was ich früher nur äusserst selten tat. Mein Bildschirmkonsum war zu Beginn der Quarantäne in die Höhe geschossen und erst nach einigem Reflektieren fand ich den Willen, diesen wieder herunterzuschrauben. Manchmal bemerkt man es gar nicht, wie Dinge, die einem immer Probleme bereiteten, plötzlich viel leichter von der Hand gehen, oder auch dass sich Prioritäten ändern. Auch den Kontakt zu anderen Menschen habe ich begonnen auf eine andere Art zu schätzen als zuvor. Allgemein fiel mir die Gestaltung der Zeit schwerer, weil ich weniger Angebote hatte. Die Dinge, die ich erledigen sollte, erschienen mir mühsam und langweilig. Während die kurzen Sequenzen, in denen man Kontakt mit der Aussenwelt oder sogar anderem menschlichen Leben hatte, mir so viel Energie lieferten wie noch nie zuvor. Mir ist in dieser Zeit sehr bewusst geworden, wie abhängig wir voneinander sind. Wir einander brauchen im Leben, in dieser Welt. Ich habe das Gefühl, in mir befreiter zu sein, bewusster mit offenen Augen Momente stärker wertzuschätzen.

Schon wieder Dienstag? Ach, was spielt das noch für eine Rolle. In dieser aussergewöhnlichen Zeit orientiere ich mich nur noch am Datum, da die meisten Lehrer die Abgabetermine ihrer Aufträge auf explizite Daten und nicht auf Wochentage setzen. Wochentage sind etwas für Zeiten mit mehr sozialem Kontakt.

Ein normaler Quarantäne-Schultag mag zunächst verlockend tönen: Man steht spät auf, kann Pausen machen, wann man will, und jeder kann sich selbst einen optimalen Arbeitsplatz für die optimale Arbeitseffizienz einrichten. Leider kommt mit den positiven Aspekten auch ein Haufen schlechterer Sachen hinzu. Der menschliche Kontakt reduziert sich auf ein Minimum, wobei dieser, falls man sich mal mit Freunden getroffen hat, extra geschätzt wurde. Beim Arbeiten kommt man ständig in Versuchung «nur noch kurz» eine Pause zu machen. Trotz allem konnte ich doch auch den ein oder anderen Moment im Lockdown geniessen. Ich war bisher an jedem schönen Tag draussen und habe mich bewegt. Mit dem Wetter hatten wir bisher auch Glück.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass die ganze Aktion ein schönes Experiment war, aber es an der Zeit ist, dass die Normalität zurückkehrt. Meiner Meinung nach, ich kann hier nur für mich sprechen, ist es langfristig besser, in die Schule zu gehen, als Homeschooling zu betreiben. Die Quarantäne hat mir gezeigt, wie es ist, alles selbst organisieren zu müssen, und obwohl es natürlich möglich ist, finde ich es doch besser, im Präsenzunterricht mit geführtem Unterricht zu sein.

Zeit Quarantination

Im Schwerpunktfach Physik haben wir die Zeit betrachtet. Vorher war sie für mich schlicht die Zahl, die oben rechts auf meinem Handy oder beim Im-Stress-das-Haus-Verlassen auf der Küchenuhr steht. Doch mein Physiklehrer, oder wie es in dieser turbulenten Zeit der Fall war, die Dokumente, die er uns über OneNote schickte, sollten mich eines anderen belehren. Den Texten auf den digitalen Nicht-Papieren zufolge, ist die Zeit aus physikalischer Sicht relativ. Das heisst, sie vergeht manchmal etwas schneller, manchmal etwas gemütlicher. Diese Veränderung in der Zeit nennt man Zeit-Dilatation. Mich faszinierte die Möglichkeit, die Zeit beeinflussen zu können. Eine Stunde Nachsitzen? Physik, Einstein, Pi im Quadrat und ich bin frei! Enttäuschung. Die Einwirkung von Zeit-Dilatation in den Alltag ist belanglos klein.

Doch seit dem 16. März ist mir ein anderes, spürbares Phänomen begegnet. Ein Phänomen, welches Stunden zu Momenten schmilzt und den Tag wie ein Laubblatt vom Balkon weht. Ich nenne es: «Die Zeit Quarantination». Wäre ein Tag ein Zimmer, so wurden durch den Lockdown die Türen aus ihren Fugen gerissen und alle Möbel bis auf den letzten Papierkorb abtransportiert. Lediglich ein kahler Raum, leer, abgesehen von ein paar tückischen Deadlines, über die man stolpern kann, ist zurückgeblieben. Genauso mein Tag. Kein Wecker, der um sieben Uhr klingelt, keine Mittagspause um zehn vor Zwölf und kein Fussballtraining am Abend. Zudem fliessen im Haus, das früher Woche genannt wurde, Zimmer um Zimmer ganz schleichend ineinander über. Verblassende Schilder hängen über jedem der Zimmer und nur noch die Abdrücke von abgeblätterten Buchstaben können andeuten, dass diese früher einmal mit Montag bis Sonntag beschriftet waren.

Direkt nach dem Aufstehen beginnt die Zeit in das Zimmer einzudringen. Mit jedem Moment eine Sekunde, unaufhörlich. Aus dem Nichts taucht sie auf und beginnt zu füllen. Infolge der Strukturlosigkeit des Tages vergeht die Zeit schwindend schnell, denn es gibt so viel Platz, auf dem sich die Zeit unnötig ansammeln kann. Das Fehlen der schulischen und ausserschulischen Aktivitäten erzeugt ein Zeit-Vakuum. Zeit, die ich normalerweise in den Tag investieren konnte, wird nun von diesem Vakuum verschlungen. Am Abend frage ich mich, was ich den ganzen Tag gemacht habe, doch sehen tue ich nur Häufchen Zeit, die in Leerheit langsam verstauben. Die Zeit Quarantination zieht mich langsam aus meinem Zimmer raus und drängt mich durch einen türlosen Türrahmen in ein neues Zimmer. Verwirrt blicke ich zurück, wann ist der ganze Tag vergangen? Ich habe keine Antwort. Dies wiederholt sich Tag für Tag. Ich erwache nicht aus diesem Dämmerzustand, denn die Zeit hört nicht auf zu rinnen. – Das, meine Damen und Herren, ist die Zeit Quarantination.