Furcht und Hoffnung

Eine Reise nach Georgien bescherte sechs Schüler:innen der Klasse 6b Einblicke in ein komplexes Land zwischen Europa, Russland und Asien.

 

Wir stehen vor dem georgischen Parlament in Tbilissi, Autos brausen vorbei. Und vor uns steht der Regisseur Gia Chanturia, der uns seit über einer Stunde auf sehr unterhaltsame Weise von der Zeit erzählt hat, als er als Student Ende der 1980er Jahre gegen die Sowjetmacht demonstrierte. Wie zum Beispiel die Mutter eines seiner Freunde ihnen gedroht habe, sie werde sich inmitten der Protestierenden nackt ausziehen, wenn sie nicht sofort ihren Hungerstreik unterbrechen und mit ihr kommen würden. Wie sie überzeugt gewesen seien, die «alten Hasen» nicht zu brauchen, und er geschmollt habe, als der protesterfahrene Swiad Gamsachurdia (der spätere erste Präsident Georgiens) mit einer einzigen guten Rede alle anderen überzeugt hatte, dass sie ihn als Anführer nötig hätten. Wie er Gamsachurdia dann doch half, das Megafon für den Demonstrationszug in Gang zu bringen und am Ende vorne mitmarschierte.

Jetzt sind wir dort angekommen, wo ein Trauma der georgischen Bevölkerung lokalisiert ist: Hier lösten in der Nacht des 9. April 1989 Fallschirmjäger der sowjetischen Armee gewaltsam eine anti-sowjetische Demonstration auf, indem sie mit geschliffenen Spaten und Gas auf die Demonstrant:innen losgingen. Dabei wurden 21 Menschen getötet.

Als Chanturia erzählt, dass vor allem junge Frauen ermordet wurden, wie der ganze Platz vor dem Parlament voller Schuhe gewesen sei, die die Leute in ihrer Panik verloren hätten, bricht seine Stimme und er hat Tränen in den Augen. Die Geschichte ist nah – genauso die gegenwärtige Politik, und das gibt Chanturia Hoffnung. Denn genau an diesem Ort finden gerade wieder Demonstrationen statt, mit denen sich die Bevölkerung gegen russische Einflussnahmen zu wehren versucht.

Immer wieder wird uns in dieser Woche bewusst, dass letztlich alles politisch ist. Fast noch deutlicher aber wird, wie fremd uns diese Perspektive in der Schweiz oft scheint, wie unbesorgt und unbedarft wir leben können. Gerade das ist etwas vom Wichtigsten, was wir nach dieser Woche mit nach Hause nehmen – neben der erneuten Erkenntnis, dass die georgische Gastfreundschaft keine Grenzen kennt: Als wir ein abgelegenes Kloster besichtigen, werden wir von einem mürrisch wirkenden Mönch und seinen beiden furchteinflössenden Hunden empfangen. Doch nach der Besichtigung gibt es für alle Wein zum Probieren, frisch geschnittene Apfelstücke und einen freundlichen Austausch. Auch das ist ein – für einmal ganz unpolitischer – bleibender Eindruck von dieser Reise.

Lisa Hurter/Chiara Salvini