«Gewalt ist etwas Fürchterliches»
Die Aula der KUE war proppenvoll, als Rektor Jürg Berthold kurz vor Mittag German Moyzhes vorstellte. Der deutsch-russische Jurist und Fahrradaktivist war in Russland in Untersuchungshaft wegen angeblichen «Landesverrats», wurde dann aber in einem Gefangenentausch freigelassen, und zwar unter anderem gegen den «Tiergarten-Mörder» Wadim Krassikow.
Moyzhes schilderte zunächst die Atmosphäre in Russland, die sich seit dem Überfall auf die Ukraine markant verschlechtert habe: «Früher gab es Demonstrationen oder andere politische Aktionen, doch es wurde immer härter.» Heute sei sogar das Niederlegen von Blumen an einem Grab gefährlich geworden.
Wie die Untersuchungshaft gewesen sei, wollte Jürg Berthold wissen. German Moyshes meinte zunächst vielsagend: «Auf dem Land wird das Leben immer schlechter, in den Gefängnissen immer besser.» Er jedenfalls sei in den zwei Monaten im Gefängnis Lefortowo gut versorgt worden, mit «Ärzten und Essen, es war sauber und die Wärter waren höflich.» Wenn er Gewalt erlebt habe, dann psychische in zehn Tagen Einzelhaft.
Aber natürlich sei es keine gute Zeit gewesen, vor allem wenn man wisse, dass auf Landesverrat Strafen von 12 Jahren bis lebenslänglich stünden und man aus russischen Gefängnissen praktisch nicht mehr herauskomme. Auch habe er sich sehr um seine Familie gesorgt.
Einzige Hoffnung: Austausch
«Meine einzige Hoffnung war der Gefangenentausch, aber ich musste dafür kämpfen, denn die deutsche Regierung hat bekanntlich noch andere Aufgaben.» Bedingung dafür sei gewesen, dass er seine Unschuld belegen könne. «Offenbar ist mir das gelungen, ich bin nicht James Bond.»
Nachdem er Fragen aus dem Publikum beantwortet hatte, endete er mit einem Appell: «Ich sage Ihnen als Russe, Deutscher und Europäer: Denken Sie über den Wert freier Staaten nach, in denen sich die Regierungen zurückhalten. Es gibt Länder, wo das nicht so ist.»
Während es bei German Moyzhes um Gewalt ging, die vom Staat ausgeht, stand beim Besuch von Frank Urbaniok am Nachmittag die Gewalt von Individuen im Fokus. Eingeladen hatte das Freifach «Psychologie des Bösen» unter der Leitung von Mirta Boesch.
Frank Urbaniok war 22 Jahre Chefarzt des psychiatrisch-psychologischen Dienstes des Kantons Zürich, heute ist er selbstständiger Gutachter und betreibt unter anderem einen Youtube-Kanal. In gut zwei Stunden tippte er verschiedene Themen rund um forensische Psychiatrie an, und die rund 15 Teilnehmenden hörten interessiert zu und stellten zahlreiche Fragen.
Er erläuterte unter anderem, wie man versucht, Straftäter zu rehabilitieren, wie hoch die Erfolgschancen sind und wie wenig psychiatrische Diagnosen oft über das Risiko aussagen.
Schubladendenken der Gutachter
Er erzählte von Therapeuten, die immer wieder eine «schlechte Kindheit» triggern und so Patient:innen erst recht unglücklich machen, oder von Gutachtern, die zu sehr in Schubladendenken verhaftet seien und immer die gleichen vier Krankheiten diagnostizierten (zum Beispiel Narzissmus).
Auf die Frage von Mirta Boesch, wann «krank» in «böse» kippe, meinte Urbaniok, dass er das Wort «Böse» eher nicht brauche, er sei «eine Etage darunter», er rede lieber von Krankheit und Gefährlichkeit. Nur selten habe die Krankheit wirklich einen Zusammenhang mit der Gefährlichkeit eines Täters: «Eine psychische Störung erklärt das Gewaltdelikt meistens nicht.»
«Haben Sie nie Angst vor Straftätern gehabt?», fragte eine Schülerin. «Nein, ich bin kein ängstlicher Mensch. Es gab eine Handvoll unangenehme Situationen», so Urbaniok, einmal habe er eine schusssichere Weste tragen müssen. Das sei zwar lästig, aber gehe vorbei.
Ob der Beruf des Forensikers nicht ein «Horror-Job» sei, fragte er sich dann gleich selber. «Nein, er ist sehr erfreulich, weil ich sehe, wie viele Täter nicht mehr rückfällig werden.» Überhaupt habe er sich in 30 Jahren Forensik nie gelangweilt, es sei eine spannende, herausfordernde Tätigkeit, so Urbaniok, der schon mit 17 Psychiater werden wollte. Dass er nie einen markanten Fehler gemacht habe, bezeichnet er heute auch als «Glück».
Und ob er verstehe, dass Gewalt auch faszinieren könne, fragte er sich am Schluss erneut selber. «Nein. Gewalt ist etwas Fürchterliches.»