Personenschutz und zivile Polizeiautos – ein Bild, welches man an einer Kantonsschule lieber nicht sehen möchte. Für den 18. Juni jedoch wurde im Namen der Bildung eine Ausnahme gemacht. Zu seiner eigenen Sicherheit im kleinen Rahmen angekündigt hielt der für Kontroversen sorgende Ahmad Mansour eine Vorlesung in der Aula. Als Teil der palästinensisch-arabischen Minderheit in Israel mit deutscher Staatsbürgerschaft und säkular muslimischem Hintergrund vereint er den momentanen Radikalisierungskonflikt in sich.
Auf Augenhöhe spricht er mit uns über Themen, die in diesen Zeiten nicht nur ihn beschäftigen, erzählt ehrlich über seine Vergangenheit und sucht auch den kritischen Diskurs. Er vertritt nicht den Glauben an das einfache Richtig oder Falsch, nennt keine klare Lösung für die Konflikte unserer Zeit. Jedoch hat er eine Antwort, wo man diese Lösung ganz bestimmt nicht findet: in der Radikalisierung.
Ahmad Mansours Weg in die Radikalisierung, aus der Radikalisierung und in die Deradikalisierung begann mit seiner Geburt 1976 in Meschulasch, Israel. Als er in seiner Jugend Opfer von Mobbingvorfällen wurde, suchte er Halt und fand diesen in der islamistischen Muslimbruderschaft. Unter Hamas-Unterricht und seinem ansässigen Imam radikalisierte er sich zunehmend, sympathisierte gar mit Attentätern und «Märtyrern».
Dieses Denken klang erst ab, als er sein Psychologiestudium in Tel Aviv aufnahm, wo er in seinem antisemitischen und islamistischen Denken von jüdischen Student:innen umgeben war. Dort kam es laut ihm zu seinem grössten Glück, dem Erkenntniswandel, dass er mit seiner Einstellung gegen sein eigenes Leben ankämpfte. So fasste er auch trotz anfänglicher Sprachbarriere und Orientierungslosigkeit den Entschluss, für den Rest seines Studiums nach Deutschland auszuwandern.
Dort entwickelte er unter anderen durch seine Teilnahme an Talkshows und seiner Arbeit als Autor eine zunehmend laute Stimme, wofür er sehr dankbar ist. Denn auch uns wird mit dem Verlauf des Diskurses immer klarer: Wer schweigt, betreibt keine Demokratie. Wer jedoch seine Stimme erhebt, der erhitzt auch die Gemüter. Mansour engagiert sich gegen Antisemitismus, Islamismus und Frauenunterdrückung, äussert sich sowohl kritisch gegenüber der israelischen Regierung als auch gegenüber der terroristischen Hamas.
Eindrücklich erzählt er von den Videoaufnahmen der Hamas vom Attentat des 7. Oktobers, die er analysierte und die ihn zusätzlich motiviert haben, seine Stimme noch mehr zu erheben. «Ich mag es nicht, mit der Sprache zu tanzen und nicht zu sagen», so drückt er es selbst aus. Oft wird ihm vorgeworfen ein «antimuslimischer Rassist» zu sein, eine für ihn selektive Wahrnehmung, die er kritisiert, indem er den linken Antirassismus in Frage stellt, den er als Feindbild «des alten weissen Mannes» sieht. Kritik an islamistischen Regimes würde trotz seiner Erfahrung als «islamophob» abgestempelt werden. Gleichzeitig jedoch äussert er sich auch kritisch gegenüber den Vorhaben der israelischen Regierung, was zu Antisemitismusvorwürfen führte.
Ahmad Mansours Ziel ausserhalb der Extremismusprävention ist uns aufzuzeigen, dass Weltpolitik nicht immer schwarz oder weiss ist, dass zu einer fundierten Meinung immer Kritik an allen Seiten nötig ist. Dies wird auch durch Social Media erschwert, wo ein grosser Teil seiner Arbeit geschieht. Er sieht diese als Katalysator von Radikalisierung, durch den Algorithmus, der jedem Individuum eine andere Realität nahebringt und zu einer fragmentierten Wirklichkeit führt. Wer Wahrheit nicht von Desinformation unterscheiden kann, liefert einen idealen Nährboden für radikale Ideologien.
Der Nahostkonflikt war selbstverständlich auch Thema dieser Vorlesung, sowohl von der zuvor betonten palästinensischen Seite als auch von der Seite der Kritik an Israel und dem wieder aufflammenden Antisemitismus. Während beispielsweise für die Brandmauer und gegen Israels Politik Millionen Menschen allein in Deutschland auf die Strasse gingen, waren es bei dem Massaker am 7. Oktober gerade einmal 18‘000.
Dank seiner Verbindungen in die jüdische Community erzählte er uns auch, dass durch diesen erneut aufflammenden Antisemitismus eine Art Retraumatisierung stattfindet, dass Juden und Jüdinnen zweifeln, ob Deutschland noch ihre sichere Heimat und ob es an Universitäten mit stark politisierten, propalästinensischen Gruppen noch sicher sei. Aussagen, die heftig kritisiert werden, auch wenn öffentlich jeder Äusserungen wie «nie wieder» oder «wir haben aus der Vergangenheit gelernt» weiterhin propagiert.
Nach Ende der rege besuchten Vorlesung blieb Ahmad Mansour offen für Fragen der Schüler:innen und der Lehrpersonen, ging ein auf die Anliegen und nahm Kritik und Feedback an. Bei vielen, mit denen ich gesprochen habe, hat diese Diskussion zum Nachdenken angeregt und ist alles in allem positiv aufgenommen worden. Noch grösser wurde der Wunsch, solche Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen öfters durchzuführen und so auch den Schulalltag um wichtige Erfahrungen zu bereichern.
Was kann man nun als Schulsystem und Einzelperson aus diesem aufschlussreichen Diskurs mitnehmen? Laut Mansour ist das Wichtigste, nicht wegzusehen. Islamisten treffen auf so viel Zuspruch, weil sie vermeintliche Zugehörigkeit vermitteln, laut ihm sogar die «strategisch besseren Sozialarbeiter» sind. Man muss nicht den hoffnungslosen Kampf gegen Ideologien führen, sondern gegen die sozialen Notlagen, die Einsamkeit und die fehlenden Perspektiven. Denn mit Radikalisierten zu diskutieren, gestaltet sich um einiges schwerer als in Unentschlossene zu investieren. Als Lehrperson sollte man Themen, die emotionalisieren, nicht meiden, sondern nutzen, um vielleicht unter den Schüler:innen einen konstruktiven Widerspruch zu wecken. Integriert ist nicht, wer sich an die Normen des Ortes anpasst, sondern wer trotz Meinungsunterschieden akzeptiert wird, und Deradikalisierung geschieht nicht durch die Abwesenheit der Ideologie, sondern die Anwesenheit von Empathie und offenem Diskurs.