"Es braucht mehr Sorgfalt im Umgang miteinander."

Martin Zimmermann, Rektor und Julia Haltinner, Schülerin sprachen über die Bedeutung der Schule für das Gemeinwohl...

Liebe Uetikerinnen und Uetiker

Vor einem knappen Monat feierten wir den ersten Geburtstag der neuen Kantonsschule hier an diesem schönen Ort. Es war ein wunderbares Fest, und einer der Höhepunkte bestand in einem Flossrennen. Wir hatten den Schülerinnen und Schülern den Auftrag gegeben, mit Petflaschen und anderem rezyklierbarem Material etwas zu bauen, das drei Personen trägt, möglichst elegant aussieht und schnell ist. Einige Leute im Schulhaus waren skeptisch. Können die Jugendlichen das wirklich, ohne dass wir ihnen dabei helfen? 

Unser Vertrauen hatte sich aber gelohnt: Die Schülerinnen und Schüler bauten seetüchtige Gefährte, mit viel Schwung, Fantasie und Freude. Und nach dem Rennen räumten sie auch alles sauber auf – mit der Hilfe von Erwachsenen, zugegeben.

Heute feiern wir aber nicht den Abschluss eines schönen ersten Schuljahres, sondern den Geburtstag der Schweiz. Man hat uns angefragt, ob nicht jemand aus der Lehrerschaft zusammen mit einer Schülerin oder einem Schüler ein paar Gedanken zum 1. August 2019 formulieren könnte. Julia Haltinner und ich tun das gerne. 

Mein Name ist Martin Zimmermann, ich bin 59 Jahre alt, bin mit 16 mit meinen Eltern von Bern nach Zürich gekommen, war 30 Jahre lang als Deutsch- und Französischlehrer an der KZO Wetzikon, die Hälfte davon war ich in der Schulleitung. Heute habe ich das Privileg, Rektor der neuen Kanti Uetikon zu sein. 

Julia stellt sich selber vor:

Julia: Auch ich begrüsse Sie ganz herzlich, mein Name ist Julia, ich bin 15 Jahre alt, komme aus Männedorf und bin Schülerin der Kantonsschule Uetikon am See.

Wir haben uns – wie das heute möglich ist – in den Ferien über den Computer verständigt. Zusammen schrieben wir anhand von einigen Fragen diese Rede, gaben uns gegenseitig Feedbacks und kamen so zum Ergebnis, das Sie heute hören werden. 

Die Fragen, die wir uns gestellt haben, drehen sich natürlich an diesem 1. August, um die Schweiz und um die Schule. Wir wollen zeigen, in welchem Geist die Kanti Uetikon unterwegs sein will und was wir für die Gemeinschaft hier in Uetikon, im Kanton oder in der ganzen Schweiz beitragen können.

Julia, beginnen wir?

Bin ich stolz auf die Schweiz? Warum ja oder warum nein?

Ich bin stolz auf die Schweiz, weil wir im Vergleich zu anderen Ländern weit entwickelt sind und dies in vielen verschiedenen Sparten. Zum Beispiel bin ich stolz auf unsere Demokratie und darauf, dass wir abstimmen und somit mitbestimmen dürfen, was in der Schweiz passiert. Nicht in allen Ländern ist dies so und die Leute haben das Glück. Zum Beispiel in England dürfen die Leute im Schnitt so viel abstimmen in ihrem ganzen Leben wie wir in einem Jahr.

In der Schweiz haben wir das Glück, ein ausgebautes Verkehrsnetz zu haben. Man erreicht fast jedes kleine Dorf in den Alpen.

Wir haben ebenfalls Glück das wir ein kostenloses Schulsystem haben und somit jeder die Chance auf eine gute Schulbildung hat.

Ich verstehe unter einer guten Schulbildung Folgendes: Wir in der Schweiz haben viele Möglichkeiten, man muss nicht zwingend aufs Gymnasium gehen, um eines Tages studieren zu können, sondern man hat viele andere Möglichkeiten, zudem herrscht in der Schweiz die Schulpflicht, was ich persönlich gut finde, auf diesem Weg haben die meisten Leute einen Schulabschluss und können ihr eigenes Geld verdienen und sind nicht vom Staat abhängig. Mit dem Abschluss «Matur» haben wir viele verschiedene Möglichkeiten und können uns überall auf der Welt für einen Job oder eine Universität bewerben.
 

Julia, wie findest du denn die Nationalhymne der Schweiz? Ist sie ein guter Ausdruck für deinen Stolz auf die Schweiz?

An und für sich finde ich die Musik gut, doch der Text ist in altem Deutsch verfasst worden, mit dem Inhalt können sich junge Leute vielleicht nicht sehr identifizieren, da es viel mit den alten Ansichten der Menschheit zu tun hat, wie zum Beispiel mit Gott und dem Vaterland.

Ich kenne den Begriff Vaterland eigentlich nur aus unserem Geschichtsbuch in der Schule, im Zusammenhang mit dem 19. und 20. Jahrhundert. Der Begriff ist auch nicht mehr so häufig verwendet wie früher.

Unsere Hymne könnte etwas mehr mit der Gegenwart oder der Zukunft zu tun haben, etwas mehr, womit sich die Menschen identifizieren können, damit sie die Hymne auch singen wollen. Man könnte aktuelle Themen ansprechen oder Sachen, die die Bevölkerung verbinden, wie gemeinsame Ziele, Interessen oder Werte.

Mit aktuellen Themen meine ich mehr so die Geschichte und Entwicklung eines Landes wie zum Beispiel bei der amerikanischen Hymne, wo über den Moment der Unabhängigkeit berichtet wird, oder sie beziehen in ihre Hymne Symbole eines Landes mit ein, zum Beispiel die Flagge, denn die Hymne lautet »The star spangled banner».

Danke, Julia!

Ich werde später auf die Hymne zurückkommen, aber jetzt fahre ich weiter mit der zweiten Frage, die wir uns gestellt haben. Und sie hat natürlich mit der Institution zu tun, die wir heute hier vertreten: 

Was kann die Schule dazu beitragen, dass sich die Schweiz gut entwickelt?

Der Staat investiert viel Geld in die Bildung, dafür bin ich dankbar. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass ich im Bildungsbereich tätig bin und damit mein Leben verdiene, das will ich gar nicht unerwähnt lassen. Der Grund für meine Dankbarkeit ist aber ein anderer. Die Schule hat nämlich meiner Meinung nach eine wichtige Aufgabe für unsere Gemeinschaft, und die Schule muss viel mehr als nur Wissensvermittlung leisten, es ist gut, dass der Staat dazu die Mittel zur Verfügung stellt.

Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Schule mehr, und die Kinder und Jugendlichen würden sich einfach nur zu Hause über YouTube bilden. Diese Vorstellung ist zum Teil recht verbreitet, ich habe im Zusammenhang mit Sparbemühungen schon von Personen aus dem Kantonsrat gehört, so könnte man doch die Schule billiger machen. Nehmen wir also an, wir hätten nur ganz ideale Kinder, die immun gegenüber den Verlockungen des Internets wären und sich ganz fleissig dem Schulstoff widmen würden. Könnte man dann unter dieser Voraussetzung die Schule weitgehend durch YouTube ersetzen?

Nein! Das wäre für die Schweiz sogar katastrophal, weil sich die Jugendichen nur Informationen aneignen würden, nicht aber Wissen. Das Internet bietet uns lediglich eine Sammlung von allerlei möglichen Meinungen, man kann schliesslich alles hochladen. Jeder Unsinn, eine Menge Lügen, viele bösartige Ideologien sind im Netz vertreten. An der Schule lernt man, sich in diesem Informations-Dschungel zurechtzufinden, indem wir gemeinsam diskutieren und uns eine gemeinsame Sicht erarbeiten. So lernen wir, uns über verschiedene Dinge zu verständigen, wir lernen, was wichtige Werte sind. Das ist eine zentrale Aufgabe, um unserer Gemeinschaft eine Basis zu geben.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Man findet im Netz eine ganze Reihe von Berichten über das Leben in der DDR. Da schreiben Leute, dass sie in diesem sozialistischen Staat sehr zufrieden waren, Arbeit hatten, dass es keine Kriminalität gab, und die Ausbildungsmöglichkeiten sehr gut waren, so tönt es in diesen Texten. Daraus kann man sich ein Bild erstellen, das zwar nicht völlig falsch ist – ja, es gab Leute, die auch im diktatorischen Staat DDR gut lebten - , aber es ist nur die halbe, nein, wohl nicht einmal ein Viertel der Wahrheit, sondern nur ein Bruchstückchen davon. Man muss auch die anderen Berichte lesen, z.B. von Jugendlichen, die wegen einer Bagatelle vom Studium ausgeschlossen worden sind oder man muss sich ein Bild machen der Arbeitsbedingungen, unter denen viele Menschen ihr Geld verdienen mussten.

Die Zusammenhänge zwischen einer individuellen Sicht und einer allgemeineren Beurteilung müssen in der Schule diskutiert werden. Das ist auch bei uns so: Nicht alle, die wir hier sind, erleben die gleiche Schweiz. 

Im Fall des DDR-Beispiels könnte man in der Schule auch abwägen, ob ein glückliches Leben in einem Staat möglich ist, in dem man seine politischen Rechte nicht wirklich wahrnehmen kann.

Anderseits wird man in der Schule anhand dieses Beispiels auch darüber reden müssen, weshalb in der Schweiz die Wahlbeteiligung so tief ist. Obwohl man mitreden könnte – anders als in einem totalitären Staat -, schweigen viele und schauen lieber Roger Federer zu, spielen Online-Games oder fahren in ihre Ferienwohnung nach Flims oder Florida.

 

Die Schule will da Gegensteuer geben: Wir wollen den Jugendlichen vermitteln, dass sie Verantwortung für die Gemeinschaft haben. Darin unterscheidet sich das Gymnasium auch nicht von anderen Schulen oder von einem Ausbildungsbetrieb. Wir alle, die wir in der Ausbildung von Jugendlichen tätig sind, haben da eine riesige gemeinsame Aufgabe.

Ich bin zwar grundsätzlich kein pessimistischer Mensch, und meine Erfahrungen mit Jugendlichen sind insgesamt sehr, sehr positiv, aber es gibt schon Bereiche, in denen ich heute Defizite feststelle. Da geht es aber nicht um das Wissen oder die Leistungsfähigkeit unserer Jugendlichen. Im Gegenteil: Die können erstaunlich viel.

Am stärksten spüre ich aber ein grosses Problem in der fehlenden Sorgfalt im Umgang miteinander. Als Beispiel nenne ich die Art und Weise, wie man mit Abfall umgeht. Wenn ich am Montagmorgen hier in Uetikon an die Schule komme, finde ich auf unserer schönen Passerelle meistens einigen Abfall. Wenn ich ich Zürich am Sonntagmorgen aber ans Zürichhorn gehe, sehe ich Berge von Abfall. Bei Anlässen wie der Streetparade oder dem Zürichfäscht sind die Abfallmengen so gross, dass man sich nur noch schämt.

Das, liebe Uetikerinnen und Uetiker, liegt aber nicht nur an den Jugendlichen. Es ist vermutlich meine – vielleicht unsere - Generation, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gross geworden ist mit dem Gefühl, der Konsum sei ins Unendliche zu steigern. Wir alle glaubten, die natürlichen Ressourcen würden doch ewig ausreichen – trotz Ölkrise und autofreien Sonntagen in den 70er Jahren, trotz all der Erkenntnisse aus der Wissenschaft.

Darum weise ich auch immer darauf hin, dass wir als Schule zwar dazu beitragen wollen, dass die Kinder ihre gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, aber wir können das nur tun, wenn auch die Eltern mitmachen. Ohne eine entsprechende Prägung durch das Elternhaus und die Familien stehen wir auf verlorenem Posten.

Die ganze Gesellschaft muss mitmachen, sie tut dies aber aus meiner Sicht nicht in genügendem Mass: Wie kann es sein, dass die Personenzahlen am Flughafen Zürich-Kloten weiter steigen, obwohl alle Zeitungen voll davon sind, dass der Flugverkehr substantielle Belastungen für die Umwelt bringt? Ich habe nichts Grundsätzliches gegen das Flugwesen – man kann sinnvoll und verantwortungsvoll fliegen-, aber warum muss man das Flugzeug nehmen, wenn man z.B. im Zug nach Berlin, Milano oder Marseille fahren könnte?

Wie Sie wissen, gab es an den Schulen eine sogenannte Klimastreikbewegung – mit „Streik“ hat sie zwar eigentlich nichts zu tun -, in der vielleicht 10 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler mit Vehemenz eine andere Politik fordern. Darunter gibt es viele, die tief besorgt sind um die Zukunft der Erde. Ich vertrete hier mit meinen Aussagen auch diese Jugendlichen.

Die sogenannten Streiks sind für uns an der Schule eine mühsame Angelegenheit, weil wir auch die Schule schützen wollen, wir müssen also die Schulpräsenz einfordern, gleichzeitig aber freue ich mich, wenn Jugendliche Position beziehen – auch wenn sie dogmatisch und starr sein mag. Das gehört zur Jugend – und das Engagement müssen wir grundsätzlich begrüssen. Die Schweiz braucht vermehrt diese jungen Menschen, welche sich für das Gemeinwesen einsetzen wollen. 

Wir müssen uns auch von den Jugendlichen herausfordern lassen – das ist eine weitere Aufgabe der Schule, aber auch der Lehrbetriebe und der Berufsschulen. 

Julia, was ist denn deiner Meinung nach der Beitrag der Schule an die gute Entwicklung in der Schweiz? Oder anders gefragt: Was lernst du an der Schule, das für dich wichtig ist?

Julia: Eine gute Bildung ist heutzutage wichtig und kann sich auch positiv auf die Entwicklung eines Staates auswirken, wenn nämlich viele oder sogar alle Leute gebildet sind und jeder eine Arbeit findet, die ihm Spass bereitet, hätte man kein Problem mit der Arbeitslosigkeit. Ein Beispiel für die sehr starke Entwicklung eines Landes ist China. Die Technikindustrie boomt nur, weil sie viele gebildete Leute haben, die sich für die Technik interessieren und sich mit ihr jeden Tag auseinandersetzten. In der Schule lernt man heutzutage viel für die Zukunft. In Fächern wie EWR (Einführung in Wirtschaft und Recht), Rhetorik oder ICT lernen wir wie man sich richtig präsentiert oder wie man mit verschiedenen Computertools wie Excel, Word oder Powerpoint umzugehen hat.

Wenn die Schweiz eine Person wäre, was würdest du ihr sagen?

Julia:

Ich würde ihr sagen, dass sie einen guten Job macht und versucht, die Gleichheit und Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. 

Und was würden Sie sagen?

Zim:

Eigentlich ist meine Antwort die gleiche wie deine, Julia. Ich werde das gleich noch etwas ausführen.

Zuerst würde ich aber sicher der Schweiz danken. Natürlich könnte man an die schönen Landschaften erinnern. Ich bin aktuell im Appenzell in den Ferien – was für eine schöne Gegend –, aber das macht mich als Schweizer nicht stolz. Ich kann nichts dafür, dass es so ist. Und die Schweiz kann auch nichts dafür, ein Dank ist also sinnlos.

Danken würde ich eher dafür, dass wir ein System haben, das auf Ausgleich bedacht ist. Politische Entscheide fallen nur langsam, in Kommissionen, an Sitzungen sieht man sich ins Auge und sucht nach Lösungen.

Das ist eine grosse Stärke der Schweiz, wir ändern den Kurs nicht schnell, sondern sorgfältig und vorsichtig. Dafür würde ich der Schweiz danken wollen.

Ich glaube aber auch, dass man der Schweiz raten muss, dieser Kultur Sorge zu tragen. In meiner Jugend waren es vielleicht die radikal Linken aus Kleinstparteien, welche eine abwertende und respektlose Sprache benutzten. Heute findet man in politischen Diskussionen von allen Seiten Leute, die zu punkten versuchen, indem sie den politischen Gegner runtermachen. Das halte ich für ungemein schädlich, gerade auch als Lehrer.

Unsere Jugendlichen nehmen sehr genau wahr, wenn zum Beispiel ein Würdenträger wie Donald Trump seine politischen Gegner in Kurznachrichten übel beschimpft. Was soll man dann als Lehrer oder Rektor einem 13-Jährigen sagen, wenn er im Klassenchat eine Kollegin gemobbt hat? 

Wie so häufig, wenn man über die Gegenwart klagt, vernimmt man dann, dass es aber nichts Neues unter der Sonne gibt. Bei meiner Ferienlektüre stellte ich fest, dass die Verrohung der politischen Diskussionen kein neues Phänomen ist. Im grossen Roman „Alles in allem“ vom jüdischen Schweizer Patrioten Kurt Guggenheim beklagt eine Romanfigur, der Buchdrucker Weder, schon 1918, dass die Leute nicht mehr respektvoll miteinander reden. Ich zitiere: „Das Fremde, das Neue (…), das ist das Bedenkenlose, die Tonart, wie man miteinander verkehrt, oder besser gesagt, nicht verkehrt. Früher, wenn man mit den politischen Gegnern zusammensass, walteten über allem das Vertrauen, eine gemeinsame Verantwortung, es ging darum, das Nebeneinanderleben im gleichen Hause zu regeln.“

Auch wenn es also vielleicht nicht ganz neu ist, dass in Umbruchszeiten in der Schweiz die Menschen den richtigen Umgangston verlieren, so bleibe ich dabei, dass es aus meiner Sicht nötig wäre, wir würden unsere Sprache viel sorgfältiger verwenden, ganz im Sinne von Georg Büchner, der in Zürich 1837 mit 23 Jahren als deutscher Flüchtling gestorben ist.

Im Stück „Dantons Tod“ zeigt Büchner, wie unheilvoll sich die Französische Revolution entwickelte. Die Figur Mercier weist an einer Stelle eindrücklich darauf hin, dass man nur genau auf die Worte hätte hören müssen, welche einige der Revolutionäre verwendeten. Die Sprache ist aufschlussreich, sagt Mercier. Ich zitiere: 

„Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden. – Blickt um euch, das alles habt ihr gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte.“

In Deutschland wurde in den letzten Wochen viel darüber geredet. Wenn man systematisch Menschen diffamiert, zum Beispiel als Verräter oder Volksfeinde bezeichnet, dann wird sich auch jemand finden, der diese Wörter beim Nennwert nehmen und entsprechend handeln wird. Die Ermordung des Politikers Walter Lübcke ist für mich ein ganz eindrückliches Mahnmal. Es mag ja sein, dass wir in der Schweiz etwas weniger leicht zu entzünden sind für extreme Handlungen, aber gegen Fanatismus sind auch wir nicht gefeit.

Deshalb würe ich der Schweiz – wenn sie denn eine Person wäre - also gerne raten: Achte darauf, wie die Menschen miteinander umgehen. Auch sprachliche Gewalt ist Gewalt. 

Durch meine Bemerkungen haben Sie nun vielleicht etwas von dem gespürt, was mich beim Aufbau der Kantonsschule in Uetikon leitet. Ich möchte, dass wir die Jugendlichen zu gut ausgebildeten jungen Erwachsenen machen, die ihre Verantwortung in der Welt wahrnehmen wollen. Das wird uns vielleicht nicht bei allen gelingen, aber gegen Ende dieser Rede will ich dazu eine kleine Geschichte erzählen. Sie handelt von einem ehemaligen Schüler, den ich vor 14 Tagen auf dem Kronberg im Appenzell zufällig traf.

Er war bei mir in der Schule in Wetzikon, und er war ein Problemschüler, weil es ihm nicht gelang, die richtige Arbeitshaltung zu finden. Zu stark liess er sich von dem ablenken, was Jugendliche halt so ablenken kann. Auch das Kiffen war ein Problem. Die schulischen Leistungen könnte er nicht mehr erbringen, und er kam an den Punkt, an dem er die Schule hätte verlassen müssen. Im Lehrerkonvent wurden aber dann Stimmen laut, die ihm trotz all der vertanen Chancen noch eine zusätzliche letzte Chance geben wollten. 

Er schaffte es tatsächlich, eine rechte Matur zu machen und ich verlor ihn aus den Augen, bis ich ihn eben auf dem Kronberg wieder getroffen habe. Er war gerade dabei, den Abflug mit seinem Gleitschirm vorzubereiten. Wir kamen ins Gespräch, und er erzählte, dass er ein Studium abgeschlossen hat, dass er auf seinem Beruf arbeitet und nebenbei noch ein Start-Up-Unternehmen führt. 

Da ist einer im Leben angekommen, und die Schule hat ihm geholfen, seinen Weg zu finden. Das ist der Geist, mit dem wir an der Kantonsschule arbeiten wollen. Ich wiederhole mich: Die Jugendlichen sollen darauf vorbereitet werden, als Erwachsene in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Und wir wollen als Schule in diesem Sinne auch Verantwortung übernehmen für die Jugendlichen.

Dieser Geist entspricht eigentlich sehr genau dem neuen Text der Nationalhymne, den Werner Widmer, ein Freund von mir, gedichtet hat. Obwohl ich weiss, dass wir nachher gemeinsam den alten Text singen werden, erlaube ich mir trotzdem, mit diesem Text abzuschliessen. 

Weisses Kreuz auf rotem Grund, 

unser Zeichen für den Bund:

Freiheit, Unabhängigkeit, Frieden. 

Offen für die Welt, in der wir leben, 

lasst uns nach Gerechtigkeit streben! 

Frei, wer seine Freiheit nützt,

stark ein Volk, das Schwache stützt. 

Weisses Kreuz auf rotem Grund,

unser Zeichen für den Schweizer Bund.  

 

Julia: Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, wünschen Ihnen noch ein schönes Fest und einen angenehmen Sommer.