Autorität, ein spannender Begriff

Einige Gedanken zum Begriff der Autorität im aktuellen Wochenbrief.

«In einer solchen Woche ist man näher mit den Lehrpersonen zusammen, das finde ich sehr schön. Sie sind nicht Freunde, aber keine Autoritätspersonen, nicht wie sonst im Unterricht.» Diese Bemerkung einer Schülerin während des Schneesportlagers in der zweiten Ferienwoche geht mir noch durch den Kopf. Ein anderer Satz, der dazu scheinbar im Widerspruch steht, lautete: «Ich fand es sehr gut, dass die Leiter klar gesagt haben, was gilt.» Beide Äusserungen der fast Volljährigen werfen ein Licht auf das Konzept der Autorität.

Hilfreich scheint mir folgende Unterscheidung. Eine Lehrperson besitzt zunächst Fachautorität. In dem, was sie studiert hat, kennt sie sich sehr gut aus. Das heisst nicht, dass sie alles weiss auf ihrem Gebiet. Sie kann auf eine Frage aus der Klasse auch mal antworten: ‘Das weiss ich jetzt auch nicht, lasst es uns nachschauen.’ Eine solche Haltung wird ihre fachliche Autorität nicht schmälern, im Gegenteil. Eine Lehrperson, die keine Angst hat, sich eine Blösse zu geben, wird geachtet werden. Fachautorität zeigt sich aber nicht nur im spezifischen Fachwissen, sondern auch im Wissen um das Lernen – also in der Unterrichtsorganisation, im Pädagogischen und Didaktischen. Oder sie wird spürbar in der Begeisterung der Lehrperson für ihr Fach, in der Neugier, die sie für unbekannte Bereiche ihres Faches zeigt, oder in der Hartnäckigkeit, mit der sie Schüler:innen auf die Sprünge zu helfen versucht.

Davon zu unterscheiden ist die institutionelle Autorität: Eine Lehrperson hat kraft ihrer Rolle eine Autorität, die ihr Macht verleiht. Diese ist zwar weniger gross, als man meinen mag, wenn man sich ihr ausgeliefert fühlt. Aber trotzdem: Ihre Anweisungen sind zu befolgen. Die Kehrseite ist die Verantwortung, die damit einhergeht. Wenn ein Unfall neben der Piste passiert, wird man fragen, wo die Lehrpersonen waren und welche Regeln im Vorfeld abgemacht wurden. Eine dritte Form von Autorität basiert auf der Persönlichkeit. Gemeint ist, dass es neben dem Fachlichen und dem Institutionellen eine schwer fassbare Form von Präsenz gibt, die uns auf einige Menschen mehr als auf andere hören lässt. Alle drei Dimensionen fallen im Begriff der «Autorität» zusammen. Das macht ihn so spannend, aber auch so spannungsvoll.

Die oben zitierte Schülerin meinte wohl, dass im informellen Setting des Lagers die institutionelle Autorität weniger spürbar ist. Die Menschen zeigen sich, wie sie sind, jenseits ihrer Rollen. Auch das Fachliche tritt in den Hintergrund, resp. wird von anderen Fachautoritäten überlagert, etwa jener, gut jassen oder Ski fahren zu können.

Das Konzept der Neuen Autorität, wie es in den 1980er-Jahren durch den israelischen Psychologen Haim Omer entwickelt wurde, erklärt die zweite Äusserung. Der Schüler nahm wahr, dass die Leiter:innen klare Vorstellungen vom Gelingen der Woche hatte, dass sie empathisch, aber klar Grenzen setzten, diese kommunizierten und Verantwortung übernahmen, dass diese nicht überschritten wurden.

Als KUE arbeiten wir daran, dass die Lehrpersonen eine möglichst umfassende Fachautorität haben. Das geschieht nicht nur in gemeinsamen Weiterbildungen. Wir wollen auch Bedingungen schaffen, in denen die Lehrpersonen ihre fachlichen Stärken ins Spiel bringen können. Gleichzeitig sollen sie einen bewussten und klaren Umgang mit der institutionellen Seite ihrer Funktion haben. Es gilt, das richtige Mass zu finden zwischen dem konsequenten Durchsetzen von Anweisungen und dem flexiblen Eingehen auf konkrete Situationen und Individuen. Die persönliche Seite der Autorität lebt davon, dass die Lehrpersonen Charakterköpfe sein sollen. Dies ist die beste Voraussetzung, dass sie durch ihre Persönlichkeiten wirken. Die Buntheit des Teams ist eine der grössten Stärken der KUE. Auf diese sind wir, bin ich stolz.

Jürg Berthold

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