Prüfungen und Noten sind nicht das Zentrum

Das Gymnasium und die akademische Bildung im Gespräch. Mehr dazu im Wochenbrief.

«Die Selbstausbildung zu einem intellektuellen Mitmenschen ist nicht mehr so attraktiv – wohl aber Studiengänge, die ökonomisch direkt verwertbares Wissen versprechen.» So äussert sich die emeritierte Zürcher Professorin Angelika Linke in der NZZ am Sonntag vom 3.12.22. 

Im gleichen Artikel schlägt Fritz Sager, Vizerektor der Universität Bern, vor, die Studiengänge neu zu denken und nicht mehr von den Fachdisziplinen auszugehen: «Wir müssen von diesem Fächerdenken wegkommen und neue Formen des Studierens finden, die den gesellschaftlichen Herausforderungen statt allein den Fächern gerecht werden.» 

Das sind interessante Töne aus den Hochschulen, sie entsprechen vielem, das wir auch in den Gymnasien schon formuliert haben. So wurde beispielsweise immer wieder gefragt, ob es eigentlich im Hinblick auf einen möglichst hohen Lebenslohn, sinnvoll sei, die Matura zu machen. Nein, war unsere Antwort. Bildungsziele lassen sich nicht in Franken messen. 

Das Gymnasium ist nicht der Königsweg, wie es früher hiess. Unser durchlässiges Bildungssystem ermöglicht sehr unterschiedliche Berufskarrieren, ein akademischer Abschluss garantiert aber nicht mit Sicherheit ein hohes Einkommen. 

Auch über das Problem der Fächer sprechen wir häufig. Wer das Gymnasium weiterentwickeln will, stolpert über die sogenannte Besitzstandwahrung. Keine der bestehenden Fachschaften gibt gerne etwas ab, obwohl alle wissen, dass sich die zentralen Fragestellungen unserer Gesellschaft vielleicht nicht mehr ausschliesslich in den Fächern behandeln lassen, die sich in der Tradition des Gymnasiums in den letzten zweihundert Jahren etabliert haben. 

Was können wir in dieser Situation als Schule den Jugendlichen bieten? In welchem Sinne lohnt es sich, die Matura anzustreben? Einerseits gibt es Reglemente, die definieren, welche (Leistungs-)Anforderungen erfüllt werden müssen. Anderseits sind die fachlichen Vorgaben in den Lehrplänen festgeschrieben. Und wer die Matura schafft, hat in der Schweiz eine grosse Auswahl an Studienplätzen. Dieses Versprechen geben wir als KUE gerne ab. Mit einer KUE-Matura finden alle einen Weg an eine Hochschule oder in eine andere Ausbildung. 

Daneben sind mir persönlich aber auch mindestens drei Ziele für unsere Schule wichtig, welche die Jugendlichen während ihrer Gymi-Zeit erreichen sollen. 

Ziel 1: Die Schüler:innen erkennen, dass Prüfungen und Noten nicht das Zentrum sind, um das sich alles im Unterricht drehen sollte. Es geht vielmehr um das Verständnis von Zusammenhängen. 

Ziel 2: Die Schüler:innen erfahren den Unterricht als etwas, das genuin mit ihrem Leben zu tun hat. Was wir im Unterricht behandeln, erlaubt ein besseres Verständnis der Lebenszusammenhänge, in denen sich Jugendliche und (junge) Erwachsene befinden.  

Ziel 3: Alle Schüler:innen finden an der Schule etwas, das sie fasziniert, ein Interessengebiet, dem sie sich mit Leidenschaft widmen können. Wer sich von ganzem Herzen in eine Sache vertieft, wird sich auch persönlich weiterentwickeln. 

In diesem Sinne bereiten wir unsere Schülerinnen und Schüler auf die weitere Ausbildung an der Hochschule, auf eine Berufskarriere und auf ein aktives Leben in der Gesellschaft vor. 

Martin Zimmermann 

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PS: Das Bild zeigt die Wortverlaufskurve für „Gymnasium“, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/r/plot/?view=1&corpus=zeitungenxl&norm=date%2Bclass&smooth=spline&genres=0&grand=1&slice=1&prune=0&window=3&wbase=0&logavg=0&logscale=0&xrange=1946%3A2022&q1=Gymnasium>, abgerufen am 7.12.2022.