Der Anfang vor dem Anfang oder: Wie gründet man einen Staat?

Huhn oder Ei? Welche Schwierigkeiten sich bei der Gründung einer Schülerorganisation stellen, lesen Sie im neuen Wochenbrief.

 

Unmittelbar vor den Sportferien war Aufregung im Haus, die Wellen im kleinen KUE-Teich gingen hoch. Eine Schülerzeitung wurde gegründet, „Unzensiert“ soll sie heissen. Was war vorgefallen?

Die Schulleitung hatte die 10-Uhr-Pause des letzten Probezeittages genutzt, um allen Schülerinnen und Schülern einen Znüni zu offerieren. Die ganze Schule war in der Aula versammelt. Rektor Zimmermann ergriff die Gelegenheit, allen für die durchgestandene Probezeit zu gratulieren und eine Gruppe von aktiven Schülerinnen und Schülern, die sich auf einen allgemeinen Aufruf einer Schülerin zur Gründung einer Schülerorganisation gemeldet hatten, per Applaus zu wählen.

„Was ist die Legitimität eines solche Vorgehens?“, fragten sich einige, staatspolitisch schon sensibilisiert, und empörten sich. Sie machten, was in einem politischen Gebilde vorgesehen ist: Sie suchten gleichermassen Besorgte, gründeten eine Gegenpartei, vernetzten sich in einer WhatsApp-Gruppe, die schnell 30 Mitglieder zählte, und gingen mit dem Fall an die Presse. Und diese gelangte, wie es sich für investigativen Journalismus gehört, auch an die Machthaber, um eine Stellungnahme zu erwirken. Die eingesetzte Schülergruppe hatte in der Zwischenzeit die Devise „No Comment“ rausgegeben und damit die Situation nicht gerade entschärft.

Kurz vor der Zeugnisabgabe fand dann ein Gespräch im grösseren Kreis statt: Anwesend waren je zwei Vertreter der beiden „Parteien“, drei Journalistinnen, Rektor Zimmermann und ich. Es gehe, so erklärt einer der Besorgten, nicht um die konkreten Personen, sondern um Prinzipielles. So undemokratisch könne es doch an der KUE nicht zugehen.

Die Empörung, muss man sagen, wäre mehr als berechtigt gewesen, wenn tatsächlich vorgefallen wäre, was als Vorwurf im Raum stand, nämlich dass sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern mithilfe der Schulleitung als Schülerorganisation inthronisiert hätte. Die Sachlage war aber ganz anders und hatte mit zwei staatsphilosophischen Fragen zu tun: Wer bestimmt über die Frage, wie etwas anfängt, wenn noch nicht klar ist, wer anfangen darf? Und wer an einer Schule gehört zu einer Schülerorganisation?

Es gibt eine kürzlich ergangene Weisung des Mittelschul- und Berufsbildungsamtes, dass man zu einer Schüleroranisation nicht einfach so gehören darf, dass man ihr also beitreten, resp. aus ihr austreten und auf das Bezahlen eines Mitgliederbeitrages verzichten können muss. Der Hintergrund ist politischer Natur: Es kann nicht sein, dass man zwangsverpflichtet ist – vor allem dann nicht, wenn SOs nicht nur Schulanlässe organisieren, sondern auch politisch aktiv werden, etwa in bildungspolitischen oder ökologischen Fragen. Die per Akklamation eingesetzte Gruppe hatte und hat deshalb die Aufgabe, bis zum Sommer die Statuten zu erarbeiten für die Organisation, der die Schülerinnen und Schüler dann werden beitreten können. Ist dann bestimmt, wer alles dazu gehört, kann es zu ordentlichen Wahlen kommen, vielleicht sogar mit einem Wahlkampf um die Ämter. Der Applaus an jenem Freitagmorgen war gewissermassen der Vorschussdank für die zu leistende vorbereitende Aufbauarbeit.

Was haben wir daraus gelernt? Dass das philosophische Problem, das zum Beispiel Rousseau in seinem Contrat Social behandelt, durchaus real ist, nämlich die Frage, wie ein verfasstes Gemeinwesen entsteht, wie aus nichts ein Staat wird. Dass es gut ist, aufgeweckte sensible Jugendliche im Haus zu haben, die ein Gespür für solche Grundsatzfragen haben, uns auf die Finger schauen, nicht nur wenn es um solche Grundsatzfragen geht. Und dass es sehr anspruchsvoll ist in einem Haus, das noch gar nicht mal so gross ist, alle zu erreichen und klar zu kommunizieren – vor allem wenn die Materie so komplex ist.

Was können alle anderen daraus gelernt haben? Dass Politik auch eine Holschuld bedeutet und dass Ereignisse, die wie der Aufruf der Schülerin breit angekündigt werden, nicht deshalb nicht stattfinden, weil man nichts mitbekommen hat. Und dass es selten eine gute Idee ist, auf Anfragen der Presse mit No Comment zu reagieren.

Jürg Berthold, Prorektor

WB_19_07

Bericht der Finanzkontrolle über die Gründung einer SO