«Erfahrung ist ranziges Frittieröl.»

Warum es nicht nur positiv ist, wenn man routiniert unterrichtet, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief.

Als ich vor fast 30 Jahren anfing, Deutsch zu unterrichten, machte ich mein Praktikum bei einem Lehrer, der mich nachhaltig beeindruckte und dann mein Mentor wurde. Später, knapp zehn Jahre vor seiner Pensionierung, schrieb er einen Text mit dem Titel „Alt werden als Lehrer“. Das war 2002. An diesen erinnerte ich mich, als wir neulich für den Kue-Tag einen kleinen Reader mit Texten zusammenstellten, die wir im Team diskutieren wollten.

„Warum soll Erfahrung in unserem Beruf gut sein? Lauten die zwei Kernsätze der Erfahrung nicht: ‚Das habe ich immer so gemacht!‘ und ‚Das habe ich noch nie gemacht!‘? Die Erfahrung ähnelt der Routine oft zum Verwechseln, und ich kann nicht einsehen, was Routine in unserem Beruf verloren hat. Wer als junge Lehrkraft für spätere Jahre auf die Erfahrung setzt, hat schon verloren. Erfahrung ist ranziges Frittieröl.“

Der Text liess die wenigsten kalt. Sicher, die Aussage mag überdehnt sein. Der Kollege liebte die Provokation und das Stilmittel der Übertreibung, sein Auftreten hatte auf mich als jungen Lehrer etwas Einschüchterndes. Und sein Hinweis, dass er die Stundenvorbereitungen nie aufbewahre, machte mich etwas mutlos; ich war froh, meine Lektionen halbwegs auf die Reihe zu kriegen. Aber die Überlegung, dass guter Unterricht nicht das routinierte Abspulen eines Programms ist, zeichnet das Bild eines Unterrichts, das gerade in der Übertreibung etwas Gewinnendes hat. Weil wir uns und weil sich die jungen Menschen verändern, muss sich auch unser Untericht immer wieder verändern.

Wir brauchen nicht nur an der KUE, aber gerade hier, wo wir eine neue Schule aufbauen,  Lehrkräfte mit viel Erfahrung. Wir brauchen aber auch eine Grundhaltung von Neugier und Offenheit, die sagt: „Das habe ich noch nie so gemacht, das probiere ich aber aus.“

Beim Wiederlesen des Textes stiess ich zu meiner Überraschung noch auf zwei andere Sätze, die mich die ganzen Jahre hindurch begleitet hatten, von denen ich aber nicht hätte sagen können, wo ich sie zum ersten Mal gehört hatte. «Arbeite mit Ideen, nicht mit Stundenpräparationen auf Millimeterpapier.» Und: «Betrachte dich nicht als Batterie, die sich durch das Arbeiten entlädt, sondern als Velodynamo: Licht durch Treten.» Was kann einem beim Einstieg in den Beruf Besseres passieren, als auf soviel geballte Erfahrung zu treffen. Vielen Dank, Hans!

Jürg Berthold, Prorektor

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Der Text von Hans Dänzer ist erschienen im Jahresbericht der Kantonsschule Zürcher Oberland (2001/2002, S. 60f.) und kann hier nachgelesen werden.