Freude-Attacken

Unterrichten macht Freude. Warum dies für viele Lehrpersonen auch unter widrigen Bedingungen gilt, versucht der Wochenbrief zu erklären.

«Müde bin ich nie. Wenn ich nach nur vier Stunden Schlaf vor der Klasse stehe und sehe, wie Schülerinnen und Schüler etwas verstanden haben, wie ihre Augen funkeln, dann bin ich hellwach.» So berichtet eine junge Lehrerin über ihre Freude am Beruf. Unterrichten sei zwar anspruchsvoll, aber wunderbar.

Ein älterer Kollege sagt das Gleiche in anderen Worten: «Wenn eine Erkenntnis aufleuchtet – das ist das Tollste am Job.»

Diese Worte fielen letzte Woche an einer Veranstaltung für Studierende, die sich für die Ausbildung zur Gymnasiallehrperson interessieren.

Die Aussagen der Kollegin und der Kollegen gefielen mir, weil ich gleich empfinde. Ich habe einen grossartigen Beruf. Selbstverständlich sind einige Lektionen mühsam, man kommt manchmal nur langsam vorwärts, die Klasse ist träge, aber plötzlich passiert etwas. Die Schülerinnen und Schüler spüren, dass ein Aspekt des Unterrichtsstoffs oder auch eine zufällig aufgetauchte andere Frage ganz einfach für ihr Leben relevant ist. Dann sieht man helle Gesichter, gelegentlich ein Strahlen, manchmal nur ein leichtes Lächeln. Für solche Momente lebt man als Lehrerin oder als Lehrer. Diese Erfahrungen geben einem die Kraft, auch die anstrengenden Seiten des Berufs auszuhalten.

Gerade in den aktuellen Zeiten ist es umso wichtiger, auf diese Augenblicke grosser Intensität zu achten und uns gegenseitig darauf aufmerksam zu machen.

Wenn die Schülerinnen und Schüler im Zuge der neusten Corona-Massnahmen im Februar wieder vermehrt zuhause arbeiten, müssen wir ihnen als Lehrpersonen und als Eltern Erfolgserlebnisse ermöglichen, sie benennen und gemeinsam geniessen.

Kürzlich las ich bei Hanns Cibulka die Frage, weshalb man eigentlich nur von Angst-Attacken und nie von Freude-Attacken spreche. Die Antwort liegt natürlich auf der Hand: Angst ist bedrohlich, sie beschäftigt uns, lässt uns nicht los, macht krank.

Wenn man Freude als das Gegenteil von Angst versteht und ihr eine ebenso starke Wirkung zuschreibt, liegt auf der Hand, dass man auf die schönen Momente achten muss, denn Freude tut gut.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen gelegentlich eine Freude-Attacke, die wir als solche wahrnehmen und auskosten können.

Martin Zimmermann

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