Handschrift oder Handy? Tinte oder Tastatur?

Handschrift oder Handy? Liebesbrief oder SMS? Unleserliche Schrift oder Emoji? Mehr dazu im Wochenbrief.

Sie strahlte. Offensichtlich war der Zettel, den sie in den Händen hielt, der Grund für ihre Freude. Ich konnte nicht anders und sprach die Schülerin an. Was sie denn so glücklich mache, ob es die letzten Vorbereitungen für eine Prüfung seien oder etwas anderes, fragte ich.

Meine unbeholfene Lehrerfrage brachte ihr Lächeln zum Glück nicht zum Verschwinden. Nein, nein, das sei ein Briefchen von ihrer besten Freundin, die nicht an die KUE gehe. Sie habe einen täglichen Austausch von schriftlichen Botschaften mit ihr. Das sei schön.

Das kurze Gespräch hat mich berührt, weil ich mich selbstverständlich gerne an die Zeit erinnere, in der wir zum Beispiel im Unterricht Zettelchen haben zirkulieren lassen. Aber noch viel berührender ist die Erinnerung an Liebesbriefe – oder zumindest an Briefe von mir lieben Menschen. Haben Sie diese Couverts auch mit zitternden Händen aus dem Briefkasten geholt, um dann einen ruhigen Ort zu suchen, an dem man sich in die geliebte Handschrift vertiefen konnte?

Natürlich freue ich mich auch heute noch über Liebes-Messages auf WhatsApp, aber sie haben nicht die gleiche Wirkung. Die Handschrift auf Papier prägt einen zweifellos stärker.

Das wäre zwar schon ein sehr guter Grund, an der Schule die Handschrift nicht zu vernachlässigen, aber es liegt an anderen Überlegungen, dass wir trotz BYOD-Konzept nicht auf Bleistifte und Kugelschreiber verzichten wollen. Offensichtlich gibt es nämlich Hinweise, dass das Schreiben mit einem Stift andere Wirkungen hat als das Schreiben auf einer Tastatur:

„Wenn das Gehirn die Bewegungen der Hand mit den erlernten Buchstaben verbindet, werden mehr und grössere Netzwerke im Gehirn aktiviert als beim blossen Tippen. Denn die Strichführung mit der Hand ist wesentlich anspruchsvoller als das Hämmern auf eine Tastatur. Handschrift erfordert grössere feinmotorische Fertigkeiten und eine viel stärkere Differenzierung.“

Tastatur und Handschrift darf man aber nicht gegeneinander ausspielen. Je nach Situation haben nämlich beide ihre Qualitäten:

„Geht es um schnelles Notieren, ist ein geübter Tipper im Vorteil. Will man sich in ein Thema einarbeiten oder Ideen strukturieren, ist es sinnvoller, von Hand den Stift zu führen. Denn schon in der (Hand-)Bewegung wird das Denken vorgeformt.“ (Zitate aus der ZEIT Nr. 40/2019, 26. September 2019, online abgerufen am 3.12.19)

Bei den Convertibles, die wir an der KUE von der 3. Klasse an verwenden, werden Stift und Tastatur komplementär verwendet. Niemand soll seine Handschrift verlieren. Sonst könnten auch die eingangs erwähnten Briefe nicht mehr geschrieben werden. Die Welt wäre ärmer ohne solche kleine Zettelchen, die bei den Adressaten das Herz höherschlagen lassen.

Martin Zimmermann

Wochenbrief_1950