«Low floors, wide walls, high ceilings»

Warum die Vorstellung, dass Klassen Zimmer brauchen, Schulentwicklung behindern kann, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief.

«Das Klassenzimmer ist der generische Code, der Schulhausbauten bestimmt», so lautete die zentrale Feststellung von Marc Meyer, dem Projektleiter Immobilien auf der Bildungsdirektion, am vergangenen Mittwochnachmittag. An einer hochkarätig besetzten und gut besuchten Kickoff-Veranstaltung wurde das KUE-Team auf den partizipativen Prozess rund um die Schulraumentwicklung am zukünftigen Standort auf dem Chemieareal am See vorbereitet. Die zentrale Frage, auf die wir in den kommenden Monaten Antworten finden müssen, lautet: Wie stehen wir zum Klassenzimmer als Einheit und wie können wir diesen Code aufbrechen und umschreiben?
Die verschiedenen Inputvorträge von Architekturbüros und Bildungsforschern machten deutlich, wie hartnäckig die Koppelung der Einheit Klasse und Zimmer die Schulhausplanung bestimmt. Die Raumbilder, die wir im Kopf haben, wenn wir an Unterricht denken, prägen unser Nachdenken über Schule und Lernen. Dabei sieht doch die Arbeitswelt heute ganz anders aus, und die Anforderungen, die in Studium und Beruf an die Menschen gestellt werden, haben sich seit Albert Ankers Blick ins Klassenzimmer sehr stark verändert.
Dominik Petko, Professor für Allgemeine Didaktik und Mediendidaktik an der Universität Zürich, zeigte auf, wie die Architektur nicht nur das Schulklima prägt, sondern auch die Unterrichtspraktiken beeinflusst. Dabei sind die Digitalisierung und die Neuen Medien weitere Faktoren. Seine Hauptthese: Es ist die gekonnte Verschränkung von Schulhaus- und Softwarearchitektur, die letztlich eine flexible Lernumgebung schafft. Damit rannte Petko ein Stück weit Türen ein, die an der KUE schon seit der Gründung weit offen stehen: Mit den kleinen Raumexperimenten im obersten Geschoss von Haus B, den Überlegungen zum POOL-Tag und dem fortgeschrittenen Einsatz digitaler Medien haben wir in den letzten zwei Jahren darüber nachgedacht, wie die Digitalisierung die Bedeutung von Raum und Präsenz verschiebt. Auch das letzte «Corona-Semester» vertiefte dieses Nachdenken und war eine wichtige Lernerfahrung – nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern für alle an der KUE (vgl. Wochenbrief von Ende Juni 2020).
Petko zeigte beispielhaft am Kopenhagener Ørestad-Gymnasium (siehe Videoporträt), wie die Setzungen der Architektur die Voraussetzungen für den Unterricht bestimmen. Im besten Fall schafft die Architektur eine inspirierende Atmosphäre für Bildung, ermöglicht den Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden und unterstützt ganz unterschiedliche didaktische Praktiken. Sie ist nicht plakativer Selbstzweck, sie kann in den Hintergrund treten. Sie erscheint als möglichst gestaltbar und fördert Ausdruck und Experimentierfreude. Sie bietet gleichzeitig Räume für das gemeinsame Nachdenken und das stille Studium. Eine solche Architektur macht es einem möglichst leicht, sich aufs Lernen einzulassen, stellt keine unnötigen Trennwände auf und gibt einem das Gefühl, frei zu sein. Oder metaphorisch ausgedrückt in den Worten der Softwareentwickler Papert und Resnick, deren Motto Dominik Petko zitierte: «Low floors, wide walls, high ceilings».
In den nächsten Monaten werden wir uns mit den Ideen, die jetzt im Raum stehen, auseinandersetzen. Wir profitieren dabei von unseren bisherigen Erfahrungen und lassen uns von der wunderbaren Situation und der Aura der Fabrikgebäude am See inspirieren. In Teams denken wir über unsere Vorstellungen von Schule nach und werden am Ende die Raumwünsche formulieren, die letztlich in die «Bestellung» im Rahmen der Ausschreibung für den Architekturwettbewerb einfliessen werden. Hoffen wir, dass unsere Stimme dann auch wirklich gehört wird!


Jürg Berthold
Wochenbrief 20_35