Reinfall

«ChatGPT und die Folgen» im neuen Wochenbrief.

Die neuste Publikation des Deutschlehrer:innenverbands befasst sich mit „ChatGPT und den Folgen“. Im Editorial begründet der Herausgeber, weshalb das Thema der Künstlichen Intelligenz aufgegriffen wird, und kommt zum Schluss: „Die Schule – und damit auch der Deutschunterricht – steht (…) im Epizentrum der gegenwärtigen Erschütterung [durch die neuen Technologien, M.Z.].“

Ich gebe zu, dass auch ich von dieser Erschütterung ergriffen worden bin. Zwar verwende ich in meiner Arbeit ChatGPT relativ selten, aber in meinem Unterricht beobachte ich, wie der Einfluss der neuen Tools sichtbar wird. Zunächst hat das durchaus positive Seiten. Die Texte der Schüler:innen sind erstens weniger fehlerbehaftet. Und wer ChatGPT gescheit verwendet, kann zweitens reichhaltigere Texte abgeben.

Eines der Ziele des (Deutsch-)Unterrichts ist, dass die Schüler:innen eine eigene Stimme finden, einen eigenen (Denk-)Stil ausbilden. Dass sie sich dabei auf die Aussagen anderer stützen, ist gut. Das war früher nicht anders, als man grosse Mengen von Sekundärliteratur exzerpierte. Wichtig ist nur, dass man die fremden Texte in die eigenen Überlegungen einbaut und ihnen damit eine neue Bedeutung gibt. Das ist etwas, das man lernen muss.

Um meine Deutsch-Klasse für die Frage der Verwendung von ChatGPT zu sensibilisieren und weil ich auch schon ganz stark das Gefühl empfand, nicht alle Schüler:innen hätten die Verwendung elektronischer Tools offen deklariert, hatte ich kürzlich eine didaktische Idee. Keine gute, wie sich später herausstellte.

Ich formulierte nämlich eine Frage zu einem Thema, das wir in diesem Semester behandelten, schrieb eine Antwort dazu und gab die gleiche Aufgabe ChatGPT. Die beiden Resultate brachte ich in die Klasse und fragte, welcher Text von mir sei. Es vergingen nur wenige Sekunden, bis die „natürliche“ und die „künstliche“ Intelligenz richtig zugeordnet wurden. Begründung: „In Ihrem Text hat es einen Fehler, das macht ChatGPT nicht.“ Da lachten wir zum ersten Mal. Immerhin attestierten mir die Schüler:innen, dass mein Text besser war.

Ich hatte (dummerweise?) noch eine weitere didaktische Idee. Live vor der Klasse wollte ich zeigen, dass es elektronische Tools gibt, die KI-generierte Texte erkennen können. Meine Demonstration war ein Reinfall. Der Text, den ich geschrieben hatte, kam rot zurück: 100% Wahrscheinlichkeit, dass er von einer Maschine erstellt worden ist, lautete das Verdikt.

Ein didaktisches Desaster, ja, aber wir amüsierten uns köstlich. Obwohl ich den KI-Detektor in meiner Klasse nicht mehr einfach so werde brauchen können, habe ich doch eine Erkenntnis gewonnen. Es gibt eine bestimmte Art von Fehlern, die Texte zu persönlichen Texten werden lassen. Es sind die Unebenheiten, Ungeschicktheiten, welche für Authentizität bürgen. Die eigene Stimme ist nicht perfekt, aber sie ist authentisch und deshalb besonders wertvoll.

Martin Zimmermann

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