Schule und Unterricht in unsicheren Zeiten 

Rechtzeitig zum Schulbeginn wurde in den Medien auch dieses Jahr wieder die Frage diskutiert, wozu die Schule denn eigentlich gut sei.

Letzte Woche erlebte ich den «Jubilarenabend» für die Lehrerinnen und Lehrer, die mehr als 30 Jahre im Kanton Zürich an einer öffentlichen Schule unterrichtet hatten und 2019 pensioniert worden sind. Die Bildungsdirektorin hatte zu einem Apéro, einem Konzert und einem Nachtessen eingeladen. Ich durfte als Vertreter der KantonsschulrektorInnen dabei sein. 

Es war eindrücklich, all diese (ehemaligen) Kolleginnen und Kollegen zu sehen, die über lange Jahre hinweg Kindern und Jugendlichen das beigebracht haben, was sie für ihr Leben brauchen.  

Aber was ist es eigentlich, was unsere Schülerinnen und Schüler brauchen?  

Wenn man dem Historiker und Erfolgsautor Yuval Noah Harari folgen will, sollten die Kinder vor allem daran arbeiten, sich besser kennen zu lernen: «Seit Jahrtausenden haben Philosophen und Propheten die Menschen dazu gedrängt, sich selbst zu erkennen. Doch dieser Ratschlag war nie dringlicher als im 21. Jahrhundert.» Schliesslich wisse man kaum, wie die Welt in 30 Jahren beschaffen sein werde. Noch nie in der Geschichte der Menschheit seien die Umwälzungen so schnell, so umfassend und die Entwicklungen so unvorhersehbar gewesen, sagt Harari. In solchen Zeiten ist Selbstvergewisserung zweifellos hilfreich. 

Harari geht zudem stark von der Überzeugung aus, dass die Überwachungstechniken, welche durch die Fortschritte im Bereich der Informationstechnik möglich geworden sind, eine der grössten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts darstellen: «Als aus den Höhlenmalereien nach und nach Fernsehsendungen wurden, wurde es (...) immer einfacher die Menschen zu täuschen. In naher Zukunft können die Algorithmen dies zur Perfektion bringen und es den Menschen nahezu unmöglich machen, ihre wirkliche Realität zu erkennen. Es werden dann die Algorithmen sein, die für uns entscheiden, wer wir sind und was wir über uns selbst wissen sollten.» 

Also müsse die Schule dazu beitragen, die Menschen zu stärken, damit sie dieser Fremdbestimmung nicht hilflos ausgeliefert sind, schreibt Harari und propagiert als möglichen Weg für ihn persönlich die Meditation.  

Ich weiss nicht, ob die frisch pensionierten Kolleginnen und Kollegen mir beipflichten würden, aber ein neues Schulfach Meditation würde ich nicht fordern wollen. Es ist aber auch aus meiner Sicht wichtig, dass die jungen Lernenden ihre Fähigkeiten, ihre Grenzen, ihre Wünsche und Bedürfnisse besser kennen lernen. Wir dürfen den Jugendlichen nicht nur Wissen und Techniken vermitteln, sondern wir müssen ihnen im Unterricht und im Schulleben auch Erfahrungen mit sich selber und anderen Menschen ermöglichen. Das wird sie in ihrem Selbst-Bewusstsein stärken und ihnen helfen, die zu erwartenden Umwälzungen in ihrer Zukunft zu bewältigen.  

Martin Zimmermann 

Wochenbrief_1936 

PS: Die Zitate stammen aus Yuval Noah Harari, 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, C.H. Beck, München 2018, S. 352 und 417.