Schwänzen – Regeln – eigene Wege

«Kein Mensch muss müssen», heisst es bei Lessing. Was dies für die schulischen Corona-Zeiten bedeuten könnte, lesen Sie im Wochenbrief.

«Kein Mensch muss müssen», heisst es in Lessings berühmtesten Theaterstück «Nathan der Weise». Diesen Satz hörte ich zum ersten Mal, als ich während meiner Schulzeit im Büro der strengen Prorektorin sass. Mein Kollege und ich hatten einige Lektionen geschwänzt und mussten nun Rede und Antwort stehen.

Da wir im Fach Deutsch gerade die Aufklärung behandelten, nahm die Schulleiterin die prägnante Formulierung Lessings auf. Sie bedeute nicht, dass der Mensch die Freiheit habe, egoistische, willkürliche und schwache Entscheide zu treffen. Niemand könne tun und lassen, was er will.

Wir sollten den Satz für uns umformulieren, sagte sie: «Als Schüler will ich müssen.»

In diesen Corona-Zeiten spricht man viel über Zwänge, Verbote und die Einschränkung der Rechte. Die politischen Diskussionen zu dieser Thematik sind zum Teil verstörend, aber auch interessant und zweifellos folgenreich.

Im schulischen Bereich hat der Lockdown auch Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten gebracht. So konnten etwa die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeitszeiten stärker selber bestimmen, und viele Aufträge eröffneten Wege, die Aufgaben eigenständig und kreativ zu lösen.

Wir freuen uns, am 8. Juni hoffentlich die Jugendlichen und die Lehrpersonen wieder im Schulhaus zu haben. Aber es werden halt auch wieder die Regeln gelten, die im normalen Schulleben nötig sind. Der Besuch des Unterrichts ist verpflichtend (mit den Ausnahmen, die corona-bedingt gemacht werden müssen), der Stundenplan bestimmt den Tagesrhythmus, die Lektionen strukturieren in 45-Minuten-Portionen das Denken und die Hausordnung gibt vor, was erlaubt ist und was nicht.

Diese Regeln haben ihren Sinn. Sich nach ihnen zu richten, ist eine prinzipiell gute Entscheidung. Das wird auch für die Einschränkungen gelten, die durch das Corona-Schutzkonzept vorgegeben sind, welches wir für die vermutliche Wiederaufnahme ab dem 8. Juni erarbeiten müssen.

Neben diesen konkreten Regelungen bleiben aber auch die Werte zentral, wie sie im Leitbild formuliert werden. Um nur ein Beispiel zu nennen:

«Konflikte werden offen thematisiert und aktiv angegangen.»

Wir werden im schulischen Zusammenleben immer wieder Grenzüberschreitungen erleben, die nicht einfach mit dem Verweis auf feste Regeln gelöst werden können. In der Schulgemeinschaft sind wir aber darauf angewiesen, dass Normverletzungen benannt werden und dass alle bereit sind, ihr eigenes Wollen – zumindest partiell – zurückzustellen, wenn sie mit der Gesamtordnung unverträglich sind.

Damit will ich niemanden zur Selbstverleugnung aufrufen. Im Gegenteil: Man darf seinen Weg auch in der Auseinandersetzung mit den gültigen Regeln gehen, solange man nicht die Gemeinschaft gefährdet.

Ich freue mich sogar, wenn sich Jugendliche – im Rahmen des absoluten Respekts für andere – mutiger verhalten, als dies im Diktum des deutschen Komikers Karl Valentin formuliert ist:

«Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.»

Auf ein baldiges Wiedersehen an der KUE!

Martin Zimmermann

Wochenbrief_2022