Sich kein X für ein U vormachen lassen

Die Schule versteht was vom Factchecking. Gedanken dazu im aktuellen Wochenbrief.

Satellitenbild der NASA. Wikipedia: Golf von Mexiko.

Wie soll man sich da vor junge Menschen hinstellen? Das fragte mich neulich eine Lehrerin, die an einer anderen Mittelschule Geografie unterrichtet. Grad eben hatte Trump den Golf von Mexiko umbenannt, und Journalist:innen, die die semantische Piraterie nicht mitmachten, wurden ausgeschlossen. Wenig später wird der Geschichtsverlauf umgelogen: Der Aggressor wird zum Opfer gemacht. Raum und Zeit werden systematisch kolonialisiert. Wie soll man sich da vor junge Menschen hinstellen?

Im Gespräch mit der Geografin wurde dann schnell deutlich: Es geht nicht um die Frage, ob man sich als Lehrperson zu Dingen der Politik äussern darf. Auch nicht um die Frage, welche Stellung die Politische Bildung haben soll. Die zweite Frage wird im Rahmen der Neuausrichtung der Maturität gerade intensiv diskutiert. Die erste Frage führt bisweilen auf eine Gratwanderung, es gibt aber eingespielte Haltungen mit einer langen Tradition. Lehrpersonen können das. Davon war auch immer wieder mal die Rede in früheren Wochenbriefen, zum Beispiel im letzten Herbst.

Nein, es geht um viel elementarere Fragen. Zum Bespiel um die Frage, welchen Stellenwert die Orientierung an «Fakten» hat. Welche Rolle die Orientierung an der  «Wahrheit» spielen soll. Was die Verpflichtung auf «Anstand», was das «Ernstnehmen des Anderen» bedeutet. Welcher Respekt Institutionen wie Parlamenten, Gerichten, Universitäten gebührt. Sicher, das sind alles grosse und schwierige Frage, deshalb die Anführungszeichen. Aber manchmal ist ihre Beantwortung auch kinderleicht – zum Beispiel, wenn einem ein X für ein U vorgemacht werden soll.

Neulich hatte ich einen längeren Austausch mit einer KI (ChatGPT 4.0). Wir chatteten über den Zustand der Welt und wo sie die Gefahren sehe. Und waren uns erstaunlich einig – wenn eine solche Formulierung im Zusammenhang mit einer KI überhaupt Sinn macht. Auf meine Frage, was zu tun sei, kam eine ganze Liste von Vorschlägen. Hier nur ein paar, die im Zusammenhang mit der Schule wichtig sind: Medienkompetenz müsse an Schulen noch viel stärker ins Zentrum gerückt werden; die Schüler:innen müssten lernen, Fake News zu durchschauen und Fakten von Meinung zu unterscheiden. – Es brauche eine Reform des Nachrichtensystems: Die Algorithmen in den Sozialen Medien müssten so angepasst werden, dass Nutzer:innen auch konträre Meinungen zu sehen bekämen. Öffentliche Sender müssten gestärkt, Qualitätsjournalismus zugänglicher gemacht werden. – Unabhängige Faktenchecks müssten besser finanziert und öffentlich gefördert werden, und jede Plattform sollte eine sichtbare «Faktenckeck»-Funktion haben.

Die Schule ist gut darin, Faktenchecker:innen auszubilden, die sich nicht so schnell was vormachen lassen. Die Schule ist auch gut darin, den Umgang mit den oben erwähnten grundsätzlichen Fragen einzuüben. Unsere Aufgabe ist es, den Schüler:innen die Welt, wie sie ist, näherzubringen. Gleichzeitig lernen wir mit ihnen, über die jetzige Welt hinauszudenken und die wesentlichen Fragen zu stellen, um zusammen einen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme leisten zu können. Der Vertrauensverlust in Institutionen, Wissenschaft und Medien ist eine fundamentale Gefahr. Er zerstört die Grundlage, auf der wir kollektive Probleme erkennen und lösen können. Wenn die gemeinsame Realität erodiert, wird es fast unmöglich, auf Krisen effektiv zu reagieren – egal, ob es um Klimawandel, Pandemien, geopolitische Konflikte oder KI geht.

Jürg Berthold

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