Störungen haben Vorrang

Stiere soll man bei den Hörnern packen! Mehr dazu im aktuellen Wochenbrief!

Wo Menschen miteinander zu tun haben, kommt es immer wieder zu Irritationen und Vorfällen, kleineren und grösseren. Der Grund dafür kann ein falsches Wort sein, ein schräger Blick, ein verfehlter Ton, ein Ablauf, bei dem es harzt. Bisweilen geht es aber auch um Grundsätzliches: um eine Haltung, die einem nicht passt, um Regeln, die nicht eingehalten werden, um Verhalten, das nicht geht, um Verletzungen, die nicht hingenommen werden sollen, oder ganz schlicht um Fehler, wie sie in der Zusammenarbeit passieren. Selbstverständlich ist das auch an der KUE so, das wird niemanden wundern. Die spannende Frage ist eher, wie wir mit solchen Störungen umgehen wollen – und um solche handelt es sich ja im weitesten Sinne. Wie für jede Organisation besteht die Herausforderung darin, eine entsprechende Kultur zu schaffen, eine Kultur, in der Dinge nicht unter den Teppich gekehrt werden, in der man sich getraut, auch unbequeme Fragen zu stellen, Dinge anzusprechen, Kritik zu äussern und in der man Stiere bei den Hörnern packt.

«Konflikte werden offen thematisiert und aktiv angegangen», heisst es dazu im Leitbild. Wir wollen also nicht, dass man gute Miene zum bösen Spiel macht, auch wenn man den Ball manchmal flachhalten muss. Konkret kann das bedeuten: Eine Lehrperson soll einer Klasse gegenüber ansprechen, wenn die Lernsituation nicht gut ist, etwa weil es zu unruhig ist oder weil jemand ausgelacht wird. Eine Schülerin soll sich bei der Lehrperson melden, wenn Sie sich falsch oder ungerecht beurteilt fühlt. Ein Mitarbeiter soll sagen können, wo ihn der Schuh drückt.

Die letzten beiden Wochen haben wir uns immer wieder auch um solche Vorfälle gekümmert. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Beispiele hier im Detail nicht zur Sprache kommen soll. Zu einer entsprechenden Kultur gehört ja auch, dass die Themen im Kreis jener bleiben, die es angeht. Im Leitbild ist von entsprechenden „Richtlinien“ die Rede, wie vorgegangen werden soll. Dass diese noch fehlen, ist eine der vielen Pendenzen, die der Aufbauarbeit geschuldet sind. Im Ansatz wird es aber um Subsidiarität und Deeskalation gehen: Konflikte sollen auf einer möglichst niedrigen Stufe geklärt werden. Eine Klasse wende sich also im Konfliktfall zunächst an die Fachlehrperson. Erst wenn es dort nicht zu einer Klärung kommt, soll die Klassenlehrperson, später vielleicht auch die Schulleitung eingeschaltet werden. Den Ball flachzuhalten ist eine Möglichkeit, Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Eine andere besteht darin, vermeintliche Sachzwänge, die aus falsch verstander Konsequenz folgen, zu durchbrechen: Wer A sagt, müsse nicht B sagen, meinte der Schriftsteller Bertolt Brecht einmal, er könne auch einsehen, dass A falsch war. Dieser Hinweis kann sicher im einen oder anderen Fall eine Diskussion versachlichen, weil er auf die Kraft guter Argumente setzt.

Nicht nur Stieren gegenüber braucht es also Mut. Es fällt uns allen ja nicht leicht, unangenehme Fragen zu stellen, schwierige Themen aufzubringen, Fehler zuzugeben oder bessere Argumente anzuerkennen. Für die KUE würden wir uns wünschen, dass die Schatten, über die man dazu sprigen muss, möglichst kleiner würden mit der Zeit, ähnlich wie auf Picassos Tableau des Taureaux: Der Schattenwurf des Stiers wird mit zunehmender Abstraktion zu einem blossen Strich.

Jürg Berthold

Wochenbrief 20_5