«Die KUE ist eine Schule des Wandels», heisst es im ersten Satz des Leitbildes. Aktuell ist dieser Wandel, der sich sonst leise und nach aussen nicht immer sichtbar vollzieht, sehr deutlich: Die provisorische Sporthalle, die den Pausenplatz abschliesst, ist fast fertig, nach den Herbstferien kann dort Unterricht stattfinden. Der Schopf dahinter wird bald abgerissen; dort wird bis im Sommer 2023 ein drittes dreigeschossiges Schulgebäude entstehen. Dieses wird ein neuartiges Raumprogramm enthalten, nicht nur traditionelle Schulzimmer. Und im Riedstegzentrum um die Ecke, nicht ganz so sichtbar, haben wir vor wenigen Tagen Räumlichkeiten beziehen können, wo in den letzten Jahren eine Krippe untergebracht war. Dort gibt es jetzt Besprechungskabäuschen, Kleingruppenräume und Arbeitsplätze. Im Moment sind die Räume zwar noch kahl und das WLAN ist noch nicht fertig eingerichtet, aber bald werden sie ebenso selbstverständlich zur KUE gehören wie die anderen Gebäude.
Der Kanton stattet die KUE grosszügig mit Ressourcen aus, um mit den wachsenden Zahlen von Schülerinnen und Schülern fertigzuwerden. Nicht dass sich die Aufnahmebedingungen geändert hätten; das Wachstum erklärt sich einfach durch die demographische Entwicklung im Kanton. Bei der Planung der KUE war das Mittelschul- und Berufsbildungsamt für das Provisorium von 20 Klassen ausgegangen. Im Moment befinden wir uns auf dem Weg zu 30 Klassen – drei pro Jahrgang in der Unterstufe und dann ab Sommer 2025 sechs Parallelklassen pro Jahrgang im Kurzgymnasium statt nur vier. Auf diese Weise werden wir, wenn die Schule mit fast 750 Schüler_innen gegen Ende des Jahrzehnts an den See ziehen wird, die für 1500 geplanten Räume schneller füllen können.
The Third Man ist ein legendärer Schwarz-Weiss-Film aus dem Jahr 1949, berühmt nicht nur wegen Orson Wells und der Zithermelodie. Der Titel spielt auf den unbekannten Dritten an, der die ganze Geschichte trägt. Er ist anwesend und abwesend zugleich, so dass lange unklar ist, ob es ihn wirklich gibt. Seit einiger Zeit wird der Schulraum als «dritter Pädagoge» bezeichnet. Keine Ahnung, ob die Rede vom (unsichtbaren) Dritten Pädagogen darauf anspielt, Sinn würde es jedenfalls machen. Der Ausdruck geht auf die Reggio-Pädagogik zurück, den italienischen Zweig der Reformpädagogik, benannt nach der oberitalienischen Stadt Reggio Emilia. Das Schlagwort «Räume für Kinder» bedeutete für den Pädagogen Loris Malaguzzi (1920-1994), dass die Kinder Rückzugsorte brauchen, in denen sie Geborgenheit, aber auch Herausforderungen erleben. Auch wenn der Ansatz für Kindergarten und Volksschule entwickelt wurde, ist die Grundeinsicht wichtig: Räume sind wesentlich fürs Lernen und bestimmen den Lernprozess mit. Wie sie gestaltet und eingerichtet sind, was sie ermöglichen, zu was sie einladen und wozu sie inspirieren, ist wichtig. Was sie verunmöglicht haben, merkt man oft erst, wenn man sie verändert. Dass die prägende Rolle der Schulhausarchitektur von den Mittelschulen oft zu wenig ernstgenommen wurde, hat mit steingewordenen Vorstellungen vom Unterricht zu tun. Was offensichtlich ist, bleibt so verborgen, weil man diese Vorstellungen für selbstverständlich nahm: Das Zimmer beherbergt eine Klasse und hat deshalb eine bestimmte Grösse. Es gibt eine Ausrichtung – nach vorne, zur Tafel, zur Lehrperson –, weil dort vielleicht nicht Gott, aber doch das Wissen hockt. Andere Einrichtungen gibt es überall dort, wo anders gelernt wird, an Mittelschulen etwa in den Instrumentalzimmern, in BG-Atelierräumen, in Labor- und Praktikumsräumen oder im Schulgarten. Je mehr sich die Vorstellungen von Wissen und Lernen und das Rollenverständnis der Lehrpersonen sich wandelt, desto weniger passt das traditionelle Schulzimmer zu den Erfordernissen der neu entstehenden Situationen. Der Schulraum wird als (dritter) aktiver Gestaltungsfaktor wahrgenommen, sobald man die Bedingungen des Lernens reflektiert.
Jürg Berthold
WB_22_35