TikTok, Instagram: vernetzend oder verletzend?

Treffen wir uns auf dem Bolzplatz? Mehr dazu im Wochenbrief.

«Heute, um drei aufm Bolzplatz. Nimm deinen Ball mit.» Diese Nachricht galt als meine WhatsApp-Nachricht, mein Eintrag im Kalender und meine To-Do-Liste – einfach ausgesprochen nach der Schule und verbindlich zwischen Freunden.

Ich bin ein Kind der 90er-Jahre und erinnere mich noch lebhaft daran, wie wir den grössten Teil unserer Freizeit draussen auf dem Bolzplatz verbrachten. Wir spielten gemeinsam Fussball oder andere Sportarten und erlebten dabei einige wirklich grossartige Momente. Ob es ein unglaubliches Tor war, das wir erzielt hatten, oder das Gefühl der Zusammengehörigkeit nach einem hart umkämpften Spiel im regnerischen Schlamm – diese Erlebnisse prägten nicht nur meine Jugend, sondern halfen mir auch, soziale Fähigkeiten zu entwickeln und ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit zu erfahren. Nationalitäten, Hautfarben und andere Unterschiede spielten keine Rolle – höchstens auf den Trikots, die wir trugen.

Heutzutage finden der soziale Austausch und die Vernetzung zwischen den Jugendlichen oftmals anders, das heisst virtueller, statt. Eine Fülle an digitalen Plattformen steht den meisten Jugendlichen zur Verfügung und damit die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen zu vernetzen. Soziale Netzwerke wie TikTok oder Instagram bieten nebst einer Vielzahl von Unterhaltungsmöglichkeiten auch eine Form der sozialen Interaktion. Allerdings fehlt oft der persönliche Aspekt, den wir einst erlebt haben. Damals war es nicht nur das Spiel selbst, sondern auch das direkte Miteinander, das unsere Freizeit prägte. Das gemeinsame Lachen, die Emotionen, die wir teilten, und die zwischenmenschliche Verbindung waren von unschätzbarem Wert. Diese Veränderung in der Art und Weise, wie Jugendliche ihre Zeit verbringen, hat zweifellos Auswirkungen auf ihre Entwicklung sozialer Kompetenzen und ihr allgemeines Wohlbefinden.

In meiner täglichen Arbeit sehe ich aus erster Hand, wie stark die Nutzung sozialer Medien unter unseren Schülerinnen und Schülern zugenommen hat. Während diese Plattformen viele positive Aspekte bieten, wie die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen zu vernetzen und kreativen Ausdruck zu finden, müssen wir bei den potenziellen Risiken bewusst hinschauen.

TikTok und Instagram sind bei Jugendlichen besonders beliebt, doch leider auch besonders gefährlich. Diese Plattformen zeigen ein verzerrtes Bild von Schönheit und Erfolg, das auf unrealistischen Standards basiert. Dass dies nicht «nur» Jugendliche betrifft, zeigt das Beispiel Sophia Thiel. Als Profi-Influencerin wurde sie zu einem Symbol für Fitness und Schönheitsideale in den sozialen Medien. Millionen von Followern bewunderten ihre Videos und wurden von ihrer Motivation inspiriert. Doch hinter der glänzenden Fassade kämpfte Sophia mit ihren eigenen Herausforderungen. Der Druck, den Erwartungen ihrer Follower gerecht zu werden, führte zu einem persönlichen Zusammenbruch - obwohl sie vermeintlich alles hatte: Erfolg, Aussehen und Status.

TikTok dreht sich schon lange nicht mehr nur um Unterhaltung und Schönheitsideale: durch die algorithmische Verteilung von Inhalten können extremistische Gruppen gezielt Jugendliche erreichen und sie mit radikalen Ideologien beeinflussen. Die kurzen und ansprechenden Videos auf TikTok bieten eine ideale Plattform für die Verbreitung von Vereinfachungen, Halbwahrheiten und sogar gefälschten Nachrichten. Dies führt dazu, dass junge NutzerInnen oft falsche Informationen aufnehmen und sich dadurch in eine Echo-Kammer von Desinformation und radikalen Ansichten begeben.

In einer Welt, die von digitalen Möglichkeiten überflutet wird, ist es wichtig, sich an die wertvollen Erfahrungen zu erinnern, die wir in unserer Jugend gemacht haben. Trotz der verlockenden Angebote von Plattformen wie TikTok und Instagram sollten wir nicht vergessen, dass wahre zwischenmenschliche Verbindungen und gemeinsame Erlebnisse von unschätzbarem Wert sind. Lasst uns darauf achten, dass wir den persönlichen Aspekt des Miteinanders bewahren und unsere Jugendlichen dazu ermutigen, echte Beziehungen zu pflegen, die auf Vertrauen und Authentizität basieren. Nur so können wir sicherstellen, dass sie in einer Welt, die von digitaler Vernetzung geprägt ist, auch weiterhin soziale Kompetenzen entwickeln und ein gesundes Mass an Wohlbefinden erreichen.

Treffen wir uns also auf dem Bolzplatz?

Nikola Jovanov, Informatik-Spezialist (KUE)

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