Vom Versuch, die Richtigen zu finden

Alle Jahre wieder… Diese Woche findet die Zentrale Aufnahmeprüfung statt. Einige Gedanken dazu im aktuellen Wochenbrief.

In einer Schule steht normalerweise das Lernen im Zentrum, jede Art von Unterricht selbstverständlich, aber auch das soziale Lernen in den Pausen und über Mittag. Einmal im Jahr, immer am Anfang des Frühlingssemesters, herrscht ein anderes, gewissermassen ein perverses Regime im ursprünglichen Wortsinn von «umgekehrt»: Mit der Zentralen Aufnahmeprüfung (ZAP) rückt das Prüfen ins Zentrum. Dabei geht es nicht um ein Prüfen, wie es auch zu jedem Lernen gehört, nämlich um ein differenziertes Feedback zum Lernstand und zum Lernprozess, also nicht um das, was Experten «formatives Prüfen» nennen. Bei der ZAP geht es um ein «summatives Prüfen», also um das blosse Ermitteln von Leistungen.

Dass das Aufnahmeverfahren immer wieder diskutiert wird und zum Teil umstritten ist, hat nicht zuletzt mit dieser Blickverengung zu tun. Ganz vieles kann nicht berücksichtigt werden, das ist Teil des Aufnahmeverfahrens, das zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Messung vornimmt und Vergleiche anstellt. Beim Übertritt ins Kurzgymnasium, wo die Vornoten nicht zählen, ist das besonders so.

Das föderalistische System spielt nicht nur bei den Corona-Massnahmen, sondern auch bei der Frage, wie der Übertritt ans Gymnasium geregelt ist. Es gibt – stark vereinfacht gesagt – Kantone, die eine eigene Schulstufe kennen, aus der man mit einem bestimmten Notendurchschnitt übertreten kann (BEZ, Aargau. Es gibt solche, bei denen eine Empfehlung der Volksschullehrkraft im Zentrum steht (Bern), oder solche, bei denen die Noten der Vorstufe zum Übertritt berechtigen, wobei man aber ohne die erforderlichen Noten zusätzlich eine Prüfung ablegen kann (Basel-Stadt). Unterschiedlich hoch sind auch die sogenannten Maturand*innenquoten, also der Anteil derjenigen eines Jahrgangs, die eine Maturität haben. Unterschiedlich sind auch die demographischen Ausgangsbedingungen: Da gibt es Regionen mit einem hohen Anteil an Anmeldungen (wie auch im Einzugsgebiet der KUE) und solche, in denen andere Bildungswege dominieren. Es ist kein Geheimnis, dass es auch einen Zusammenhang zwischen dem Bildungshintergrund des Elternhauses und der Anmeldungs- und der Bestehenswahrscheinlichkeit gibt. Ungleiche Voraussetzungen werden auch durch die Vorbereitungskurse erzeugt, die so tun, als sei in einem dualen Bildungssystem nur der eine Weg richtig.

All das kann man mit guten Gründen ins Feld führen, um auf Ungerechtigkeit hinzuweisen, die diesem System von Ungleichheiten immanent sind, Ungerechtigkeiten, die am Schluss immer mit der Frage nach dem richtigen Massstab zu tun haben. Ich bin der Letzte, der nicht Verständnis hätte, wenn auf die problematischen Aspekte hingewiesen wird und eine entsprechende politische Diskussion initiiert wird – für den Kanton Zürich etwa mit dem Argument, dass die Maturand*innenquote für einen so von Hochschulen dominierten Kanton im nationalen Vergleich sicher zu tief ist. Oder dass es für Kinder aus weniger privilegierten Elternhäuser unverhältnismässig schwierig ist, ans Gymnasium zu kommen – vor allem wenn sie nicht muttersprachlich Deutsch sprechen. Vor allem mit Blick auf die kantonal unterschiedlichen Verfahren ist die Diskussion zu führen. Die ZAP-Woche ist aber nicht der richtige Moment dafür. Da geht es um die vielen Schülerinnen und Schüler, die sich vorbereitet haben und an den Prüfungstagen in einem fairen Setting zeigen möchten, was sie können.

Man kann auch gegen die Art der Prüfung vieles sagen, meine ich, aber nicht, dass sie unseriös durchgeführt würde oder die beteiligten Personen nicht alles daransetzen würden, gerechte Bedingungen zu schaffen – soweit diese mit den Bedingungen der Prüfung zusammenhängen. In meiner Erfahrung sind alle Beteiligten bemüht, durch das mehrstufige Verfahren (Vornote, Prüfung, Probezeit) die Jugendlichen zu finden, die an einer Kantonsschule am richtigen Ort sind und die die Schule mit einer gewissen Leichtigkeit werden durchlaufen können. Die Maturandenquoten sind politische Grössen und haben nichts mit den Verfahren selber zu tun.

Die vielen Lehrpersonen, die Prüfungsaufsicht haben, geben sich alle Mühe, den jungen Menschen die Angst zu nehmen. Die Lehrkräfte und Expert*innen der beteiligten Schulstufen korrigieren und bewerten zusammen die Arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen und mit dem konsequenten Vier-Augen-Prinzip. Und da sind alle Leute im Hintergrund – von der Prüfungsleitung über die Teams, die die Prüfungen erstellen und proben, bis zu den vielen Administratoren, die für einen reibungs- und pannenfreien Ablauf sorgen.

Den Jugendlichen, die am Montag und Dienstag an die KUE kommen, wünsche ich viel Erfolg! Den Eltern, die sie begleiten, die nötige Ruhe, um ihrem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln, und den Lehrpersonen und allen anderen danke ich schon jetzt für die riesige Arbeit, die immer – in diesem Jahr mit Corona aber in ganz besonderem Masse – mit dem Kraftakt verbunden ist.

Jürg Berthold

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