Von sinnvollen und weniger sinnvollen Aufgaben

Warum Hausaufgaben zu Recht einen schlechten Ruf haben und warum man für bestimmte Aufgaben Zeit ausserhalb des Unterrichts braucht, im aktuellen Wochenbrief!

«Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht». Das ist ausserhalb der Schule ein Kompliment. Es meint, dass die Person genau weiss, wovon sie spricht. Sie hat sich vertieft, die Akten studiert, sie hat die Dossiers im Griff. Der Satz stammt aus einer Zeit, als die Kirche noch im Dorf war und die Hausaufgaben auch in den Schulen noch zum A und O gehörten. Selbstverständlich möchten wir immer noch Schüler:innen, die sich auskennen, weil sie sich vertieft haben, und die eine Neugier ausgebildet haben. Die klassischen Hausaufgaben sind aber nicht mehr der Inbegriff dafür. Und das aus guten Gründen.

Wer eine Sache schon im Unterricht verstanden und verinnerlicht hat, braucht sich zu Hause nicht weiter damit zu beschäftigen. Wo Hausaufgaben flächendeckend verordnet werden, wirken sie als demotivierende Schikane für jene, die die zusätzliche Übung nicht brauchen. Zudem sind sie oft ungerecht: Wer daheim jemanden hat, der helfen kann, ist im Vorteil. Auch die Belastungsfrage ist in der letzten Zeit zu Recht immer mehr ins Bewusstsein gerückt: Nach einem Schultag von acht Lektionen ist weniger einfach oft mehr. Man muss also genau überlegen, welche Art Tätigkeiten in welchem Ausmass zu Hause sinnvoll sind.

Das alles heisst nämlich nicht, dass man neben den Lektionen nichts mehr zu tun hätte. Zu den gewinnbringenden Tätigkeiten gehört paradigmatisch das Üben beim Erlernen eines Instruments. Hier ist die stille, fokussierte Auseinandersetzung zentral für den Fortschritt. Ähnlich ist es auch mit dem portionierten, möglichst stetigen Aneignen von Vokabeln und Formen im Fremdsprachenunterricht. Auch da braucht es eine Verinnerlichung ausserhalb der Unterrichtslektionen. Die Lektüre der nächsten Kapitel eines Romans gehört ebenso dazu; für das Vorankommen bei einer umfangreicheren Lektüre ist Zeit unerlässlich, egal, ob am Pult, unter einem Baum oder im Bett.

Eine andere Art von Beschäftigung fordern die längerfristigen Aufträge – etwa im Rahmen von POOL-Projektarbeiten. Das ist anspruchsvoll für Lehrpersonen wie für Lernende. Es sind im Stundenplan zwar Lektionen dafür vorgesehen, aber nicht immer gelingt die Bestimmung des Projektumfanges, nicht immer ist das Timemanagement optimal. Dann muss man auch zu Hause noch etwas machen, gerade im Vorfeld von Abgabeterminen. Oder nach Rückmeldungen, wie es läuft, muss die Lehrperson Anpassungen in den Anforderungen vornehmen. Beides ist bei einer Projektarbeit üblich.

Bei der Didaktik des sogenannten Flipped Classroom ist die Vorbereitung, nicht das Nacharbeiten die Pointe: Man studiert vorgängig die Theorie – etwa indem man sich ein Lernvideo anschaut –, und der Unterricht besteht dann im Klären von Fragen und dem Lösen von Problemstellungen, zu denen man jetzt einen Zugang hat.

Der Bildungsforscher John Hattie hat auf die Ineffizienz von Hausaufgaben hingewiesen, in der Liste der Einflussfaktoren rangieren sie weit unten, weil sie gemäss seinen Untersuchungen nur wenig zum Lernerfolg beitragen. Dabei hatte Hattie wohl klassische Hausaufgaben im Sinne, nicht Aufträge, die konzentriertes eigenes Lernen und Arbeiten erfordern wie in den oben genannten Beispielen. In der Liste der Einflussfaktoren stehen nämlich jene Elemente weit oben, die mit projektartigem Lernen gestärkt werden – so zum Beispiel Kreativitätsförderung oder Problemlösen. Wenn man hört, dass Hausaufgaben nicht effizient und deshalb zu vermeiden seien, muss man also nachfragen, was genau gemeint ist.

Von den oben genannten Gründen gegen die Arbeiten zu Hause fallen nicht alle weg. Es bleiben vor allem das Thema der Belastung und jenes der ungleichen Verteilung von Hilfestellungen. Beides müssen die Lehrpersonen im Auge behalten.

Jürg Berthold

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