Wie eine Perlenkette

Warum hat die Einzellektion eine solche Bedeutung? Gedanken dazu lesen Sie im aktuellen Wochenbrief.

«Unterricht jenseits der Einzellektion» lautet der thematische Fokus der diesjährigen Retraite der Lehrpersonen. Selbstverständlich soll das nicht suggerieren, dass die Lehrpersonen ihren Unterricht nicht immer schon in grösseren Einheiten planen. Da gibt es Themen, mit denen man sich über mehrere Wochen befasst, da gibt es Buchlektüren, die sich über eine längere Zeit hinziehen etc. In der Regel werden solche thematischen Blöcke mit einer Prüfung abgeschlossen – bevor man zum nächsten Thema übergeht. Die Grundeinheit bleibt dabei die einzelne Lektion, die im Stundenplan vorgegeben ist, allenfalls die Doppelstunde.

Für die Hartnäckigkeit dieser Unterrichtsform sprechen quasi-medizinische Überlegungen: Es geht um die gekonnte portionierte Verabreichung der richtigen Dosierung und um den langsamen Fortschritt durch Dranbleiben. Die Rolle der Lehrperson ist in diesem Setting meist ebenso definiert: Sie entspricht jener der Ärztin, die weiss, was gut ist für die Patienten, und den Überblick über den Therapieverlauf hat. Im Fall der Schule ist aber meist keine second opinion vorgesehen und die Zustimmung des «Patienten» (informed consent) wird vorausgesetzt.

Daraus ergeben sich Konsequenzen: Der Stundenplan wird zum Zentrum der Schule, bestehend aus einem komplexen Arrangement von Einzellektionen. Sog. Doppelstunden sind Chancen für einen Rhythmuswechsel, sie präsentieren sich aber nicht selten als Addition von Einzellektionen. Über die räumlichen Konsequenzen haben wir hier schon öfters nachgedacht: Es ist das Schulhaus, das aus geschlossenen Normzimmern besteht. In diesen können Lektionen möglichst störungsfrei gehalten werden, Lektionen, an denen lange gefeilt wurde. So soll die zur Verfügung stehende Zeit optimal genutzt werden; anders scheinen wir das Pensum des Lehrplans nicht bewältigen zu können.

Wir Lehrpersonen stecken unseren zum Teil enormen Vorbereitungsaufwand in die Perfektionierung der Einzellektion – und ins rekurssichere, transparente Prüfen am Ende der Perlenkette. Wenn eine Lektion im Zusammenspiel mit der Klasse gelingt, man ins Gespräch über etwas Wesentliches kommt, dann ist eine solche «Sternstunde» ein sehr schöner Moment. Wenn man die Lernfortschritte der Schüler:innen spürt, die Planung aufgeht und am Ende gute Resultate erzielt werden, dann ist man als Lehrperson glücklich. Bisweilen, wenn der Aufwand in einem Missverhältnis zum Verlauf einer Lektion steht und die eigenen Mühen nicht honoriert zu werden scheint, kann sich das Gefühl einstellen: «Perlen vor die S…». In die gleiche Logik gehört die Klage (oder aus Schüler:innensicht: die Freude) über Lektionenausfälle oder über «tote Unterrichtszeit» nach der Notenabgabe.  

Wir Lehrpersonen können oder könnten selbstverständlich auch ganz anders. Vielfältig ist unser Repertoire an alternativen Unterrichtsformen: Projekttage, wo man länger an einem Thema dran ist, Exkursionen und Studienreisen oder Projekte, die im und neben dem Unterricht über eine längere Zeit stattfinden, bisweilen auch interdisziplinär, und in einem handfesten Produkt enden. Auf der KUE-Webseite sind viele Projekte dokumentiert. Wenn man Schüler:innen fragt, was die Qualität solcher Projektarbeiten ist, so nennen sie immer wieder ähnlich Stichworte: den Stolz auf das Erreichte, die Konzentration, die der Verzettelung entgegenwirkt, die Herausforderungen der Zusammenarbeit in einem Team, die Nachhaltigkeit der Lernerfahrung.

Im Team, das die Retraite vorbereitet hat – Manuel Burkhalter (Chemie), Corina Heinrich (BG), Michèle Mühlebach (Geschichte), Hanna Wick (Mathematik), Martin Zimmermann und ich –, sind wir nicht der Überzeugung, dass man die Idee einer Perlenkette aufgeben sollte. Wir meinen aber, dass man andere Formen von Unterricht verstärken müsste. In den zwei Tagen wollen wir zusammen Good-Practice-Beispiele aus dem Kollegium studieren, Schülerstimmen zu den Gelingensbedingungen einbeziehen, Vorschläge von anderen Schulen aufgreifen und gemeinsam herausfinden, welche Faktoren uns unterstützen, Schritte über die Einzellektions(reihe) hinaus zu wagen. Mit den POOL-(Halb)Tagen haben wir nämlich Lücken im Stundenplan, an denen wir mit den Schüler:innen anders arbeiten können. Bei Schulen, die stärker projektmässig lernen, gibt es Vorbilder, deren Ansätze man ernstnehmen sollte. Ich freue mich sehr auf intensive zwei Tage.

Jürg Berthold

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