Winterthemenwoche 2022

Diese Woche geht es an der KUE in vielen Lektionen um ein Thema. Was es damit genau auf sich hat, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief!

Was haben die Mondlandung, 9/11, Angela Merkel und Kondensstreifen gemeinsam? Sie seien, wenn man sie nur richtig betrachte, nicht das, was sie scheinen. Dieser Ansicht sind Menschen, die an sogenannte «Verschwörungstheorien» glauben. Eigentlich handelt es sich nicht um richtige Theorien im anspruchsvollen Sinne. Deshalb ist es gar nicht einfach, sie zu widerlegen, so absurd sie scheinen mögen. Denn jedes Argument dagegen wird in einen vermeintlichen Beleg für sie umgemünzt. Auch glauben wir Menschen oft an Dinge, die sich nicht mit letzter Sicherheit wissen lassen oder sich seltsam anhören; der Glaube für sich genommen ist also auch noch nichts Spezielles. Und gerade auch der Blick der Wissenschaften zeigt, dass der Schein bisweilen trügt – etwa, dass sich nicht die Sonne, sondern die Erde bewegt. Naiv auch, wer meinen würde, es gäbe keine Verschwörungen; immer wieder hat es in der Geschichte richtige Verschwörungen gegeben – zum Beispiel jene von Catilina im antiken Rom. Offenbar liegen die Dinge alles andere als einfach, und es muss eine ganz Reihe von Kriterien erfüllt sein, damit man von einer Verschwörungs«theorie» sprechen kann.

Das alles macht die Auseinandersetzung mit diesem Thema anspruchsvoll, aber auch faszinierend. Wohl auch deshalb wurde es in einer schulweiten Online-Abstimmung für die Winterthemenwoche ausgewählt. Den Lehrpersonen der 1. bis 5. Klasse wurde damit eine schwierige Aufgabe gestellt, nämlich aus der Perspektive des eigenen Faches einen Beitrag zum Verständnis des Phänomens zu leisten. Gleichzeitig soll es auch um allgemeine Fragen gehen: Welche Gemeinsamkeiten haben solche Sichtweisen? Wie finden sie Verbreitung? Wer ist von ihnen fasziniert? Warum? Und wie reden mit Menschen, die von deren Wahrheit überzeugt sind? Die Corona-Pandemie, der Kriege gegen die Ukraine und die Befunde der Klimawandelforschung haben die Diskussionen nicht einfacher gemacht. Vielen Menschen scheint die Welt aus den Fugen geraten zu sein. Wie schön wäre es, wenn wir verstehen könnten, wie es so kommen konnte! In diesem Sinne hat der Philosoph Peter Sloterdijk solche «Theorien» als «Gedankensparprogramme» (NZZ vom 24.11.22.) bezeichnet, als Versprechen, sich endlich einen Reim auf alles machen zu können. Aber vermutlich ist diese Deutung als Vereinfachungssehnsucht selbst eine Vereinfachung des Phänomens.

Nur die 6. Klassen haben ein anderes Programm: Im Themenwochen-Konzept der KUE ist vorgesehen, dass sich der Jahrgang der Maturand:innen mit einem gesellschaftspolitisch relevanten Thema auseinandersetzt. Nicht dass Verschwörungs«theorien» nicht auch gesellschaftlich relevante Faktoren wären. Aber das Thema, für das sich das Vorbereitungsteam entschieden hat, ist «Jugendgewalt». Das Interesse dafür ist nicht nur theoretischer Natur; offenbar erleben viele Jugendliche auch im relativ behüteten Umfeld der KUE unterschiedliche Formen von Gewalt, wie mir Danilo Raffaele (Geschichte) erklärte. Eine aus acht Schüler:innen und aus mehreren Lehrpersonen für Geschichte und Wirtschaft & Recht bestehende Arbeitsgruppe hat seit den Sommerferien ein abwechslungsreiches und spannendes Wochenprogramm mit diversen Inputs zusammengestellt. Während der ganzen Woche haben die Maturand:innen auch Zeit, um an Unterthemen zu arbeiten. Die Resultate dieser gruppenweisen Auseinandersetzung werden am Ende der Woche präsentiert und diskutiert. Die involvierten Fachschaften und das Vorbereitungsteam haben einen grossen Aufwand betrieben, um ein ansprechendes Programm auf die Beine zu stellen und auf diese Weise sowohl einen Beitrag für ein vertieftes Verständnis dieses Phänomens als auch ein Stück Präventionsarbeit zu leisten.

Die Winterthemenwoche ist in organisatorischer Hinsicht die schlankste der vier Wochen, die es an der KUE gibt; der Stundenplan bleibt nämlich weitgehend intakt. Trotzdem haben die Lehrpersonen, die sich auf ein vorgegebenes Thema einlassen und sich in einen sehr speziellen Themenbereich einarbeiten müssen, einen grossen Aufwand. Ich danke allen für ihren Einsatz und wünsche ihnen eine aufgeweckte Schülerschaft, die nicht nur den Rhythmuswechsel begrüsst, den die Woche auch mit sich bringt, sondern auch neugierig ist für die Gelegenheit fachlicher Vertiefung bei gleichzeitiger Verbindung zwischen den Fächern.

Jürg Berthold

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