“Man weiss nicht, was noch werden mag” (Ludwig Uhland)

Wir freuen uns auf das neue Jahr. Wie gehen wir mit den Ungewissheiten um?

Die Feiertage waren 2020 weniger verplant als auch schon. Ich hatte also Zeit, in alten Büchern zu stöbern. Kennen Sie das Gefühl, unmittelbar in Erinnerungen zu versinken, wenn Sie ein Buch öffnen, das Sie vor langer Zeit gelesen haben? Manchmal ergreift mich dabei ein Staunen über den Unterschied, der zwischen dem Ich von jetzt und dem Ich von damals besteht.

Interessant sind immer auch die eigenen Markierungen in alten Büchern. Welche Passagen sprachen mich offensichtlich an und warum andere nicht?

Als ich anfangs Jahr ein Taschenbuch in den Händen hielt, das ich für mein erstes Studiensemester gekauft hatte, war ich glücklich. Ich erinnerte mich, wie ich erwartungsfroh an die Uni gegangen war, wie ich glaubte, dass sich mir an der Akademie das grosse Wissen erschliessen würde.

Und 40 Jahre später nahm ich also das Buch (Thema: Gedichte aus der Romantik) wieder in die Hand. Mein Blick fiel gleich auf einen dick unterstrichenen Satz:

«Obendrein geben die rationalistischen Versuche, Wirklichkeit systematisch zu begreifen, ihre verdeckten Widersprüche, Einseitigkeiten und Mängel gerade in den Augenblicken der Krise preis.»

Dieser Satz könnte aus einem der vielen Kommentare stammen, die zum «Corona-Jahreswechsel» in allen möglichen Medien publiziert worden sind. Es ist keine neue Erkenntnis, dass die grossartigen technischen Entwicklungen der letzten 250 Jahren nicht alle Probleme lösen. Im Gegenteil, gerade wegen des sogenannten Fortschritts haben wir vieles nicht im Griff.

Wie gehen wir nun in dieser Situation als Privatperson und als Schule angemessen ins neue Jahr, das weiterhin keine «Planungssicherheit» verspricht? Was hilft uns, in der zu erwartenden Ungewissheit die richtige Haltung zu finden?

Die Antwort wird nicht einfach in einem Gedicht zu finden sein. Dennoch zitiere ich gerne die folgenden Verse von Hilde Domin quasi als Motto für das neue Jahr.

Man muss weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest.

Martin Zimmermann

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