Seine Wenigkeit

Zu viele Vorsätze für 2024? Machen Sie es wie Alan Frei: Reduzieren Sie oder scheitern Sie erfolgreich. Zum Jahresende ein Porträt über einen Minimalisten.

Bild von Anja auf Pixabay.

Das folgende Porträt über Alan Frei stammt von Emanuele Marillo, 5d, und ist im Rahmen von «Jugend schreibt» in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» erschienen.


Bekannt durch seinen minimalistischen Lebensstil und als Co-Gründer des Erotik-Online-Shops «Amorana», blickt er optimistisch in die Zukunft. Der Schweizer Unternehmer, Minimalist, Vagabund und Optimierungsjunkie Alan Frei glaubt fest daran, dass sein Curling-Team und er sich für die Olympischen Spiele 2026 qualifizieren werden. Was viele nicht wissen: Die Idee, Curler zu werden und den perfekten Stein durch Teamleistung zu werfen, kam Frei, halb Schweizer, halb Philippiner, erst nach dem Verkauf seines Unternehmens 2020.

Der ständige Kampf mit den Pfunden, Herzerkrankungen und Übergewicht in der Familie waren der Auslöser für das Umdenken und den plötzlichen Lebenswandel. «Mein Vater wurde nur 59 und das ist etwas, was ich nicht will. Mein Leben ist zu schön, dass ich so früh gehen will. Weniger zu essen ist für mich aber keine Option. Da brauchte ich eine ausgeklügelte Geschichte, um dem Übergewicht entgegenzusteuern. Im Englischen heisst übergewichtig «obese», und meine Geschichte ist «From Obese to Olympics», erzählt er schmunzelnd.

Dem charismatischen 41-jährigen Curling-Novize war jedoch klar, dass die Möglichkeit, für die Olympischen Spiele nominiert zu werden, nur dann bestand, wenn er für die Philippinen, der Heimat seiner Mutter, antritt und in einer Disziplin, die das Land nicht vertritt. Frei probierte Langlauf, merkte aber schnell, dass er für die Sportart unbegabt war. Durch Zufall wurde er von drei Curlern, alle halb Schweizer, halb Philippiner, die ein viertes Teammitglied suchten, angeschrieben.

Die Story nahm ihren Lauf. Heute ist Curling Freis Arbeitsalltag. «Ich merke, dass ich immer besser werde, und wir sind ein sehr gut eingespieltes Team.» Im Gespräch wirkt der unkonventionelle, mittelgrosse Mann mit markant hoher Stirn und streng nach hinten gekämmten schwarzen Haaren mit grauen Strähnen locker, seine Stimme energisch und begeisternd. Freis dunkelbraune Augen strahlen, sein breites Lächeln ist ansteckend.

Was seine optimistische Ausstrahlung nicht verrät: Der Mann ist ein Freak im positivsten Sinne des Wortes. Sein Leben ist ein Band aus Storys voller Ideen und Einstellungen, die sehr unterschiedlich, aber gleichzeitig faszinierend sind.

Aufgewachsen in einer kleinen Gemeinde im Kanton Aargau, erinnert er sich: «Es war eine schöne Kindheit, ich hatte viele Möglichkeiten: Reisen, Zeit und eine ländliche Umgebung.» Die Schulzeit erlebte er als anstrengend und voller Hindernisse. Für die Noten musste er hart kämpfen. Einen Teil seiner Gymnasialzeit verbrachte er in Russland. Später studierte er Sinologie in China. Welche Erfahrungen haben ihn stark geprägt? «Interessanterweise sind es andere Kulturen. Und da ich als Jugendlicher leidenschaftlich Basketball gespielt habe, sind es auch Persönlichkeiten wie Michael Jordan und das Amerikanische <Ich kann alles erreichen>».

In China liess sich Frei vom dortigen Gründerfieber anstecken, entdeckte sein Potenzial als Unternehmer und studierte Wirtschaft. Mit 20 hatte er seine erste Geschäftsidee. Er wollte vermögende Chinesen in die Schweiz bringen und eine Art Concierge-Service anbieten. Die Idee erwies sich als Flop. Seitdem setzte der extrovertierte Mann rund fünfzig Geschäftsideen und Projekte und auch acht Start-ups in den Sand. «Ich habe für mich einfach gemerkt, dass es besser ist, einfach zu machen: Leute anzusprechen, versuchen, Ideen umzusetzen, anstatt viel zu überlegen und Angst zu haben, dass es nicht funktioniert.»

Über das Scheitern zu sprechen, hält er für wichtig. Dadurch möchte er jungen Menschen Angst nehmen und aufzeigen, dass Scheitern zum Leben gehört und dass man daraus positive Dinge ziehen kann. Der Erfolg kam erst mit der Gründung des Erotik-Online-Shops Amorana im Jahr 2014, den er im Jahr 2020 an eine britische Firma verkaufte. Was als eine abenteuerliche Idee begann, bescherte Alan Frei die finanzielle Unabhängigkeit.

Er ist Vagabund, einer, der lange nicht an einem fixen Ort lebte. Sein Zuhause beschreibt er als Ort «where the Wifi connects automatically». Ein Vagabund ist er auch in seinem Mindset: «Ich reise durch mein Leben und probiere immer wieder neue Sachen und gebe mich nicht mit dem momentanen Status zufrieden. Ich bin nicht einer, der sagt, hier bleibe ich jetzt, ich bewege mich gerne.» Frei konsumiert gerne, häuft aber keine Dinge an und der Materialismus liegt ihm fern. Wenig zu haben, beschreibt er als Luxus und Freiheit. Nach dem Tod seines Vaters und der Räumung des Hauses merkte er, wie viel Ballast sich dort angesammelt hatte. Diese Erkenntnis bewegte ihn dazu, dass er kurz darauf seinen ganzen Besitz auf 118 Artikel reduzierte. Nach dem Verkauf von Amorana lebte Frei im Hotel, reduzierte weiter und besass nur 70 Dinge. Auf eine einsame Insel würde er nur Handy, Solarcharger und Airpods mitnehmen. Nichts anzusammeln macht Frei glücklich. Heute lebt er mit seiner Partnerin in einer Wohnung. Der extreme Minimalismus ist nicht mehr möglich. Dennoch versucht Frei, wo möglich, zu optimieren. «Wir haben immer noch sehr wenige Sachen im Vergleich zu anderen und das Überflüssige kommt weg.»

Inspirationen holt sich Frei sowohl von Büchern wie «The 4-Hour Workweek» von Timothy Ferris, «Effortless» von Greg McKeown, «Excellent Advice for Living» von Kevin Kelly als auch von Youtube. «Ich liebe Youtube. Dort schaue ich am meisten Ali Abdaal und Casey Neistat», beide Optimierer. Er verfolgt begeistert Trends wie Blockchain, KI und Content Creation. «Heute mache ich das, was ich cool finde.» Er betreibt einen eigenen Podcast-Kanal, trainiert täglich Curling mit seinem Team, nimmt an Turnieren teil und fährt, um in Bewegung zu bleiben, mit dem Velo bei «Uber Eats» Bestellungen aus. 

Emanuele Marillo, 5d

© Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 294, 18.12.2023, im Rahmen von «Jugend schreibt».