Eintrichtern

Es wäre ja schön, wenn man Wissen eintrichtern könnte, aber Schule funktioniert anders.

„Nicht der Unterricht steht im Vordergrund, sondern das Lernen.“

Dieser Satz steht in einer Arbeit, die ich im Rahmen meiner Schulleiterausbildung vor 20 Jahren geschrieben hatte. Schon damals schien mir also, dass in den Schulen sehr viel über das Lehren, Instruieren und Stoff vermitteln geredet wird, weniger aber über das, was meines Erachtens im Zentrum stehen sollte: Wie baut sich eigentlich das Wissen und Können der Schüler:innen auf?

Das berühmte Bild vom Nürnberger Trichter ist zwar in der Theorie überwunden – man kann die Jugendlichen nicht wie Memory-Sticks mit Wissen abfüllen –, aber die Vorstellung ist in öffentlichen Diskussionen trotzdem erstaunlich präsent. Man möchte, dass die Schüler:innen möglichst viel Stoff vermittelt bekommen. In grossen standardisierten Tests lässt sich dann überprüfen, ob die Ziele erreicht wurden.

Lernen passiert allerdings nicht nur durch passiv-kognitives Aufnehmen. Ein Kind lernt gehen, weil es immer wieder aufsteht und neu versucht, das Gleichgewicht zu finden. Eine Fremdsprache lernt man, weil man sich immer wieder auf sprachliche Interaktionen einlässt. Ein Pianist arbeitet wochenlang an einem schwierigen Stück, weil er immer wieder die heiklen Passagen wiederholt.

Dabei spielen zweifellos Vorbilder und Ratschläge eine wichtige Rolle, aber für keines der drei Beispiele möchte man das Modell starr anwenden, das in der Schule gängig ist: Instruktion – üben – bewerten.

An vielen Schulen sucht man deshalb Wege, die Schüler:innen zu aktivieren. Selbstorganisiertes Lernen ist ein Stichwort dazu (man denke zum Beispiel an unsere Pool-Lektionen). Oder man richtet „Creative Halls“ ein (wie im neuen Gebäude der KUE, siehe dazu den Wochenbrief von Karin Hunkeler).

Skeptiker werfen häufig als Widerspruch gegen diese Bestrebungen eine Frage ein: Warum haben sich denn solche Ideen, die man spätestens seit der Reformpädagogik anfangs des 20. Jahrhunderts kennt, nicht durchgesetzt?

Die Frage ist tatsächlich eine Herausforderung – auch für meinen eigenen Unterricht.

  • Schaffe ich es, den Schüler:innen Aufgaben zu geben, die sie in ein eigenes Nachdenken über ein bestimmtes Problem bringen?
  • Kann ich ihre ersten Lösungsversuche nachvollziehen und ihre Überlegungen einordnen?
  • Gelingt es mir schliesslich, die gängigen wissenschaftlichen Antworten zum Ausgangsproblem so darzulegen, dass die Lernenden sie verinnerlichen können?

Diese Fragen kann ich nicht mit gutem Gewissen alle mit ja beantworten. Vermutlich wird es vielen von meinen Kolleginnen und Kollegen gleich ergehen. Dazu sind unsere Klassen zu gross, es fehlt die Zeit, und der schöne Dreischritt, wie er durch die drei Fragen skizziert wird, ist tatsächlich nicht immer der ökonomischste Weg. Dazu kommt, dass wir Noten setzen und gewissermassen alle Schüler:innen über den gleichen Kamm scheren müssen. Die individuellen Fortschritte der einzelnen Lernenden geraten damit aus dem Fokus.

Je nach Fach und Fachgebiet kann aber direkte Instruktion durchaus sinnvoll sein. Wenn der sogenannte Frontalunterricht die Lernenden anregt, aktiviert und bei ihnen Lernprozesse auslöst, ist er zweifellos gut eingesetzt.

Martin Zimmermann

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