Worauf die Schule vorbereiten soll

«Bildung für Nachhaltige Entwicklung» heisst ein aktuelles Anliegen. Mehr dazu im neuen Wochenbrief!

Bei einem Unterrichtsbesuch in Bildnerischem Gestalten erlebte ich neulich mit, wie Schüler:innen die Piktogramme der UNO-Nachhaltigkeitsziele graphisch analysierten und weiterentwickelten. Wie stellt man «Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen» am besten dar? Gibt es Zeichen für «Massnahmen zum Klimaschutz», die alle verstehen? Was sind eigene Ideen dafür? Die kreative Arbeit und das Erlernen des Programms InDesign gingen Hand in Hand mit einer Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Aspekten des Themas. Die sogenannten SDG (für Sustainable Development Goals) sind seit 2016 in Kraft, und zwar mit einer Laufzeit von 15 Jahren. Nachhaltigkeit wird dabei in einem sehr umfassenden Sinne verstanden, ökonomisch, sozial und ökologisch.

Die BG-Lektionen-Reihe ist damit ein schönes Beispiel für «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» (BNE). Diese wird neu im eidgenössischen Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen ausformuliert, und zwar im Rahmen der «Transversalen Unterrichtsbereiche» (Rahmenlehrplan, Teil II). Zu den «Transversalen» gehören neben BNE unter anderem Interdisziplinarität, Wissenschaftspropädeutik, Politische Bildung und Digitalität. Die Mittelschulen werden stärker als bisher verpflichtet sein, diese Themenbereiche zu behandeln, sei es in eigenen Gefässen oder wie im Fall des Unterrichtsbeispiels in den Fächern selbst. Die «vertiefte Gesellschaftsreife» wird damit stärker als bisher neben der «Studierfähigkeit» als zentrales Ziel der Maturität bestimmt. BNE geht dabei über den Unterricht hinaus, die ganze Schulorganisation ist gefragt: Die Art, wie man an einer Schule zusammenlebt und zusammenarbeitet, soll sich auch an diesen Entwicklungszielen orientieren.

Zur genauen Ausgestaltung im Rahmen der «Weiterentwicklung der Maturität» (WEGM) läuft aktuell ein Vernehmlassungsverfahren zum Rahmenlehrplan. An der KUE haben wir bereits einige Elemente, die in diesen Kontext gehören. Um nur drei Beispiele zu nennen. So heisst es etwa in der KUE-Charta, einer Selbstverpflichtung, die das Kollegium eingegangen ist: «Wir entwickeln unsere Unterrichtsprogramme auch vor dem Hintergrund des Ziels, dass die Schüler:innen ihre Verantwortung angesichts der grossen gesellschaftlichen Herausforderungen wahrnehmen.» Oder es gibt Kue gives back, das Sozialprojekt der 3. Klassen, die sich in Gruppen während eines Semesters für die Gesellschaft engagieren. Ein drittes Beispiel betrifft den KUE-Kodex, den wir Schulleitungsmitglieder aktuell mit sämtlichen Klassen im Rahmen einer Lektion diskutieren und von sämtlichen Schüler:innen unterschreiben lassen. Auch hier ist das Ziel, dass die Art des Zusammenlebens im Schulkontext zu den Werten passt, die im Unterricht in der Auseinandersetzung mit Stoffinhalten vermittelt werden.

Ich vermute, dass die Vernehmlassung innerschulisch und politisch noch viel zu reden geben wird. BNE ist eine Gratwanderung, die auch misslingen kann. Es geht darum, mit Fingerspitzengefühl die Sensibilisierung für die wesentlichen Fragen voranzutreiben, ohne vorzugeben, wie die Antworten aussehen sollen. Insofern eröffnet BNE vor allem einen Diskussionsraum und zeigt an, dass sich die Schule den Fragen nicht entziehen kann, die die Gesellschaft umtreiben. Dass sich Schüler:innen dafür brennend interessieren, zeigt der anhaltende Erfolg des Freifachs «Aktuelles Weltgeschehen». Die beiden Geschichtslehrpersonen, Iris Haas und Danilo Raffaele, haben seit fünf Semestern mit gegen 50 Anmeldungen immer ein übervolles Haus.

Meine persönliche Ansicht, der ich in diesem Diskussionsraum Gehör verschaffen möchte, bringt Michael Hampe, Philosoph an der ETH, in seinem Buch Abschied von grossen Worten. Über die Fortsetzbarkeit von Aufklärung (2023) sehr schön auf den Punkt: Er schlägt vor, «Bildungsinstitutionen als etwas anders zu begreifen denn als Vorbereitung auf eine ausserschulische meritokratische Wirklichkeit in einer vermutlich nicht mehr lange fortsetzbaren Gesellschaft, der es überwiegend um Aufmerksamkeit und Reichtum geht, bei weitgehender Missachtung  der moralischen, politischen und ökologischen Kollateralschäden dieser Zweckausrichtung des Lebens für andere menschenschliche und nicht-menschliche Wesen.» Eine solche Position wird keine Mehrheiten finden, sie hat aber das Recht, im Diskussionsraum, den BNE öffnet, mit Argumenten diskutiert zu werden.

Jürg Berthold

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