Reiche Ernte

«Gibt es dafür eine Note?» Wie sich ein Grundwiderspruch der Schule in der letzten Schulwoche zeigt, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief.

Gegen Ende drängen sich die letzten Prüfungen und beanspruchen viel Raum, noch mehr als sonst. Für jene, die etwas verpasst haben, gibt es Nachprüfungstermine. Zentral die Frage, ob man genügend Noten zusammen hat. Regelmässig auch die Frage, warum die Belastung nicht besser verteilt wird. Dann, mit der sogenannten «Notenabgabe» am Ende der vorletzten Schulwoche, die Erleichterung, dass die Leistungen jedes Faches, in fassbare Zahlen gegossen, vorliegen. Dass der Druck weicht, ist im Schulhaus spürbar. Für manche beginnt jetzt das Rechnen und Bangen: Kann ich aufatmen, oder werde ich »provi»? Am Dienstag der letzten Woche dann die Notenkonferenzen: Die allermeisten Schülerinnen und Schüler schaffen die Promotionsbedingungen mehr oder weniger diskussionslos. Für jene, deren Leistungen nicht genügten, die schmerzhafte Erfahrung, dass ein Semester mit erhöhtem Notendruck bevorsteht, eine Repetition verordnet wird oder man die Schule gar verlassen muss. Am Freitag vor den Ferien dann die Zeugnisse. Jedes Semester dasselbe.

In den letzten Wochen ist aber auch anderes zu sehen, das eher dem Einfahren der Ernte gleicht und auch nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Notengebung steht.  Dazu gehören kleinere und grössere Arbeiten, die im Unterricht entstanden sind. Um nur einiges wenige zu nennen: die Resultate des Spiels mit einem Börsenprogramm, die Produkte von Start-ups, die an einem Elternanlass vorgestellt werden, Zeitungsartikel, die gedruckt vorliegen, biologische Freilandforschung. Dazu gehört auch eine Aufführung, wie das KUE-Sommerkonzert, das nicht nur per Stream, sondern auch live genossen werden konnte. Und dazu gehören die sozialen oder ökologischen Projekte von «Kue Gives Back», einer Initiative, bei der es für die Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse darum geht, «der Gesellschaft etwas zurückzugeben». Dann sind da noch die Dokumentationen der «Entdeckungsreise», auf die die Schüler*innen am Ende des 11. Schuljahres in 3er- oder 4er-Gruppen geschickt wurden, die Choraufführung und BG-Arbeiten der 1. Klassen und die MINT-Arbeiten der 4. oder die Flossbauten der 3. Klassen. All das ist ausserhalb des Prüfungsformats entstanden, vieles auch jenseits der Notenlogik.

Diese Gleichzeitigkeit, meine ich, sagt etwas über das System Schule aus, wie es aktuell funktioniert. Es gibt die etablierten Prüfungsformen: Zu einem bestimmten Moment wird in einem bestimmten Fach ein bestimmter Stoff abgerufen. In einem der letzten Wochenbriefe hat Rektor Zimmermann unter dem Titel «Prüfungshopping» die Auswüchse dieses Systems beschrieben, nicht zufällig gegen Ende des Semesters, wo sie sich konzentriert zeigen. Wir müssen aber auch zugeben, dass wir durch das Setting eine Haltung auch fördern, die uns gleichzeitig befremdet, wenn eine Klasse – durchaus systemkonform – fragt: «Sie, gibt das eine Note?»

Daneben besteht, wie die unvollständige Auflistung deutlich macht, ein reiches Schulleben. Da zeigt sich das Lernen und das Sammeln von Erfahrungen von einer anderen Seite: Da wird etwas hergestellt, da entsteht Neues, da wird etwas vorbereitet, das man zeigen möchte. Da findet eine Vertiefung statt, die mehr Nachhaltigkeit verspricht, da hat Schule eine wertvolle Erlebnisqualität.

Es geht nicht darum, die beiden Seiten gegeneinander auszuspielen; die Fächer und Altersstufen haben ihre eigenen Logiken. Aber der Bemerkung einer Schülerin neulich, dass der Sinn der Schule im Schreiben guter Noten bestehe, gehört doch widersprochen – auch wenn wir sie gerade am Ende des Semesters zu bestätigen scheinen. Warum nicht, auch wenn dies das Problem nicht vollständig löst, die Arten, wie Noten entstehen, noch mehr variieren? Warum nicht etwas mitnehmen vom Schwung dieser Erntestimmung ins neue Semester, das man in den Ferien planen wird?

Am Donnerstag feiern wir den dritten Geburtstag der KUE. Es gibt ein Fest für die ganze Schule, in der Badi Meilen, wie es sich gehört für eine Schule, die dereinst am See ihren definitiven Standort finden wird. Dann wird das Semester seinen Abschluss finden, die Eindrücke verblassen und die Sommerferien werden vor uns liegen. Wir haben sie alle mehr als verdient.

Ich wünsche allen einen schönen Sommer und erholsame Wochen und freue mich schon, die alten und die neuen Schüler*innen am 23. August begrüssen zu dürfen.

Jürg Berthold

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